Aus dem Tannheimerthal war einmal ein Bursche als Maurer in die Fremde gezogen und stand in Holland in Arbeit. Eines Abends saß er mit mehreren Kameraden in einem Wirtshause, und im Laufe der Unterhaltung warf er auch die Äußerung hin: "Morgen hat ein Vetter von mir in Nesselwängle Hochzeit; ich gäbe gerade einen Katzenthaler, wenn ich dort wäre." Da kam über eine Weile ein altes Weib herein und sprach: "Behauptet der Mann Mann noch sein Wort mit dem Katzenthaler, den er zahlen will, wenn er bis morgen im Tannheimerthal ist?" "Jahwohl behaupte ich es," erwiderte der Maurer, und nun bestellte ihn die Alte bis kurz vor zwölf Uhr nachts auf einen bestimmten Platz. Der Tannheimer ging zu rechten Zeit dort hin, und auch das Weib traf dort ein und brachte einen Geißbock mit. Nun mußte er sich auf den Bock setzen, aber hinterfür, und die Alte warnte ihn eindringlichst, nie umzusehen und auch nie zu reden, wenn ihm seine geraden Glieder lieb seien und nicht alles fehlschlagen solle. Kaum saß der Maurer recht auf dem Bocke, so ging es mit ihm holops in die Lüfte und die ganze Nacht fort über Thal und Thor und fremdes Land. Als aber der Morgen graute, gewahrte er plötzlich, daß er in der Nähe von Nesselwängle schwebe, und erkannte deutlich die dortige Schießstätte, und erfreut rief er: Halt! Da warf es ihn herab, weil er geredet hatte, und vom Falle brach er sich ein Bein und blieb dann zeitlebens krumm.
Nach anderen war es das Betläuten am Morgen, das der Bocksfahrt ein Ende machte. Darnach sei noch rechtzeitig zur Hochzeit eingetroffen zur großen Verwunderung der Seinen, denen er alles Erlebte erzählte. Später habe er sich in Schattwald niedergelassen, und der Name Bockreiter oder Obreiter sei ihm für immer verblieben, und noch jetzt sagt man zuweilen von "Obreiters Bock".
Reiser, 1895