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Die Amannschaft Tannheim und ihr Ende
Aus: Ausserferner Nachrichten vom 1. April 1972
Über die endgültige Gleichstellung des Tannheimertales mit dem übrigen Außerfern
Im Jahre 1705 wurde von der Pfarre Tannheim (diese umfaßte das ganze Tannheimertal und war ein politischer Sprengel) eine Gerichtsordnung erlassen: "Wie es entzwischen und gerichtsamman und gerichtsleuten der pfarr Tanheimb in besetzung des gerichts und sonsten zu allen zeiten und begebenheiten gehalten werden solle."
In dieser Gerichtsordnung werden die Pflichten, aber auch die Rechte des Amanns neu geregelt. Bekanntlich war das Außerfern in mehrere Dingsprengel eingeteilt, an der Spitze eines jeden Dingsprengels stand ein Anwalt, der für die Durchführung der obrigkeitlichen Erlässe und Gesetze Verantwortung trug. Er übte auch eine gewisse außerstreitige Gerichtsbarkeit aus. Nun hatte das Tannheimertal in gerichtlicher Hinsicht bis zum Jahre 1705 eine Sonderstellung, der Amann hatte weit mehr Befugnisse als die Anwälte im übrigen Außerfern. Wie die Stellung des Tannheimertales nach 1705 aussah, soll uns dieser Beitrag zeigen.
Schon im ersten Punkt dieser Gerichtsordnung, die sich die Tannheimertaler selbst gaben, wird festgehalten, daß in Zukunft "demokratischer" als bisher alle Gerichtsuntertanen gleich behandelt werden sollen: "...sonder wür alle als pfarrs-gerichtsverpflichte gehalten werden und diesfahls einer wie der andere sein..."
Die folgenden Punkte beschäftigen sich mit Verfahrensfragen, so beispielsweise, daß das Gericht nur an Sonn- und Feiertagen zusammentreten solle "wegen der enge der zeit". Der Gerichtsamann soll den Vorsitz führen: "...nemblich gleichwie herr gerichtsamman in allweg der erste ist, zu oberst an sizen und praesidieren thuet." Es wird festgehalten, wie die Sitzordnung der Gerichtsverpflichteten ausschauen soll, daß ein Verzeichnis aller Anwesenden geführt werden soll. Weiters ist ausdrücklich unter Punkt vier festgesetzt: "...die empfangene schreiben vor- und ablesen..., jeder darauf guetes aufmörken haben, nicht in der stuben hin und wider noch vil weniger aber gar zu der stuben aus- und einlauffen, zum fenster ausschauen, taback trinken, noch anders geschwäz untereinander anfangen..."
Endlich wird auch das Abstimmungsverfahren verordnet: "...in einer sachen allzeit die maiste gleiche vota (Stimmen) das conclusum (Beschluß) sein und machen, und wie anbei noch guet genommen werden, also auch ein gerichtsbuech verordnet und alle solche gerichtsschluß durch den herrn gerichtsamman in kurzem begriff darein verzaichnet..."
Fünftens wird auch festgehalten, daß jeder Gerichtsverpflichtete etwas vorbringen kann, wenn der Gerichtsamann keine Anliegen mehr hat, über das dann gleichfalls abgestimmt werden soll.
Der sechste Punkt dieser Gerichtsordung legt dann die genauen Kompetenzen des Gerichtes fest und ist somit als Kernstück zu betrachten: "...und nachdem dann ein jeder von uns gerichtsverpflichten die gäng, müehe, versaumbus der zeit und ungelegenheit hat wie der andere, sonderlich aber die weitere entlegene noch öfters das ihrige darmit ohnwerden thuen, und damit nun in denen auch übrigen begebenheiten jedem gleichwie pillich dann gegonnt und einer wie der andere geliebt und gehalten, mithin wür an steter treu, aufrichtig gueter verständnus und rechtschaffener, brüederlicher gerichtsverliebung untereinander erhalten werden möchten, hingegen aller verdruß, unwillen und widerwährtigkeit untermitten verbleibe, folglich ein ieder so mehr ursach habe, dem herrn gerichtsamman und als es ohnedem die unwiederrechtliche pillichheit selbst ist in casibus sich eraigenden particularen pfarrshandlung, es seien inventuren, verträg, abtheilungen, gerhabschaft- oder andere raitung (Rechnung), auch weitere güetliche sachen, item copieren und dergleichen, nichts ausgenommen, auch allezeit gerichtsverpflichtete als gerichtsbeisitzer darzue erhaischen und würklich zuezüechen..."
Demnach stand also dem Gerichtsamann "Inventuren, Verträge, Abteilungen, Gerhabschaften (Regelung der Verlassenschaften) oder andere Rechnungen" zu. Wenn man bedenkt, daß ab dem Jahre 1515 der Amann vom Tannheimertal selbständig Verbrecher verhaften durfte und dann erst dem Gericht Ehrenberg überstellen mußte, so wirken seine Kompetenzen nach 1705 geradezu als Trostpflaster. Tatsächlich war ihm jeder Rechtssprechung in Streitsachen zur Gänze entzogen, und der Amann erscheint den übrigen Anwälten des Außerfern völlig gleichgestellt, denn nunmehr waren seine Kompetenzen wirklich nur noch die eines Verwaltungsmannes.
Auch der siebente Punkt bringt nichts wesentlich Neues: "Desgleichen auch, wann ein ausschuß auf Reiti (Sitz der Gerichtsobrigkeit) oder wohin erfordert würdt, wie zwar guet ist, das in einer sachen bis zur selben entschaft umb der information willen gleiche gebraucht werden, so sollen doch in einer dann anderen neuen sach nebst dem herrn gerichtsamman allzeit andere erwölt ausgeschoßen und geschickt werden, damit sofort ieder auch etwas sechen und sich informiert machen köne, solcher ausgeschoßnen auch allzeit obligation sein solle, volglich dem gericht bei negster dessen darauf zusamenkonft umb ihr ausrichtung ausführliche relation zu erstatten, damit man allseits behöriges wissen davon trage...".
Das heißt nichts anderes, als daß ein Ausschuß aus den Gerichtsverpflichteten gebildet werden solle, wenn es Sachen in Reutte zu regeln gibt, der dann die anderen Gerichtsverpflichteten genau informieren soll.
Einerseits zeigt dieses Weistum deutlich, daß das Jahr 1705 einen Einschnitt in der Geschichte des Tannheimertales bedeutet, nämlich insofern, als in diesem Jahr das Tannheimertal die letzte politische Selbständigkeit verlor und den anderen Anwaltschaften des Außerfern gleichgestellt wurde, andererseits zeigt es aber doch das Fortleben der alten Markgenossenschaft. Das Tannheimertal, die Urpfarre Tannheim wurde bis weit in die Neuzeit als politische und weitestgehend auch wirtschaftliche Einheit aufgefaßt. Dieser Einheit kam auch eine gewisse, sicherlich nicht geringe Selbständigkeit zu, die sich vor allem in gerichtlichen und wirtschaftlichen Berlangen zeigte. Im Laufe der Zeit wurde dann immer mehr von obrigkeitlicher Seite her versucht, alle Sonderrechte abzuschaffen und somit möglichst ein gleiches "Feld" von Untertanen zu haben.
Im Zuge dieser Bestrebung wurde auch die Amannschaft Tannheim zu einer reinen Verwaltungsbehörde, der nur noch in der außerstreitigen Gerichtsbarkeit eine gewisse, aber keine besondere Selbständigkeit zukam. Mit dieser Gleichschaltung war auch das Urteil über die Großpfarre Tannheim gesprochen, da die Verwaltung ein zu geringes Band darstellt. Bald bildeten sich wirtschaftlich völlig selbständige Gemeinden, die keinerlei gemeinsame Nutzungen mehr kannten, und sehr bald wurden nahezu selbständige Kaplaneien und Vikariate von der Pfarre Tannheim abgetrennt.
Dr. Rudolf Palme