Als Odoaker sich im Jahre 478 zum Kriege gegen die Rugier und ihren König Friedrich veranlaßt sah, sendete er seinen Bruder Welf (Wulf) mit einem starken Heere in das Rugiland (heute das Gebiet von der Schwäbischen Alb bis zum Wald- und Weinviertel an der Donau in Niederösterreich), der sie besiegte. Nachdem aber Odoaker inzwischen dem großen Theoderich, König der Ostgoten, unterlegen war, zogen sich die Reste der Völkerschaften zurück in den Landstrich südlich der Donau bis an den Bodensee und die anstoßenden julischen Alpen, sowie den Ammer- und Augstgau.
Unweit von Ravensburg im Allgäu, erbauten sie auf einer Anhöhe ein Schloß, und nannten es Altdorf, sich selbst aber die Grafen von Altdorf.
Mehrere Jahrhunderte lang lebte hier das freie unabhängige Dynastengeschlecht der Welfen in glücklicher Verborgenheit; keines Fürsten Vasallen, sich in Welthändel weder einmischend noch eingemischt. Still und unbemerkt breiten sich ihre Besitzungen immer mehr aus. Erst in der Mitte des 8. Jahrhunderts tritt das Welfengeschlecht in einer Sage wieder ins Licht der Geschichte:
Damals saß zu Altdorf und Ravensburg Warin, der war königlicher Kammerbote und ein Graf im Thurgau und im Lenzgau genannt. Sein Sohn Isanbert hatte dem Kaiser Karl dem Großen bei einer Jagd auf einen Ur das Leben gerettet, und stand daher beim Kaiser in hohen Gnaden. Dieser Isanbert hatte eine Gemahlin, Namens Irmentraut. Da geschah es einmal, daß ein armes Weib unweit Altdorf drei Kindlein auf einmal gebar. Als solches Gräfin Irmentraut hörte, rief sie aus: "es sei unmöglich, daß ein Weib drei Kinder von Einem Manne haben könne, ohne Ehebruch; und diese Ehebrecherin verdiene nichts anderes, als in einen Sack gesteckt und ertränkt zu werden." Solches redete sie öffentlich vor Graf Isanbert, ihrem Herrn, und vor allem Hofgesinde.
Im nächsten Jahr darauf wurde die Gräfin selbst schwanger, und gebar, als der Graf eben abwesend war, zwölf Kindlein, lauter Knaben. Zitternd und zagend, daß man sie nun, ihren eigenen Reden nach, gewiß des Ehebruchs zeihen werde, beschloß sie, elf derselben tödten zu lassen und befahl demnach ihrer Magd, diese in das Wasser zu tragen und zu ersäufen. Indem nun die Magd diese elf Knäblein, in einem großen Becken liegend, in den vorbeifließenden Bach, die Scherz genannt, tragen wollte, schickte es Gott, daß Graf Isanbert auf dem Heimwege der Magd begegnete. Als er sie mit dem Becken erblickte, frug er sie, was sie da trage. Zitternd erwiederte die Magd: "Herr, es sind Welfe (junge Hunde)." - "Wohlan!" sprach der Graf, "laß schauen, ob mir einige zur Zucht gefallen, die ich zu meiner Nothdurft hernach gebrauchen will!" - "Ei, ihr habt Hunde genug," - versetzte weigernd die Magd, - "ihr möchtet einen Grauen nehmen, sähet ihr solchen Wust und Unlust von Hunden!" Allein der Graf ließ nicht ab und zwang sie das Becken zu entblößen und dessen Inhalt zu zeigen. Da er nun die elf Kindlein darin erblickte, wiewohl klein, doch von schöner und edler Gestalt und Art, drang er heftig in die Magd, zu gestehen, weß die Kinder wären. Die Magd bekannte ihm nun den ganzen Handel, wie daß nämlich die Kindlein sein und seiner Gemahlin wären, und aus was für Ursache sie hätten umgebracht werden sollen. Hierauf befahl der Graf, die Knäblein einem reichen Müller in der Gegend zu bringen, welcher sie aufziehen sollte, und gebot der Alten ernstlich, Stillschweigen zu halten und ihrer Herrin zu melden, sie habe deren Befehl ausgerichtet und vollzogen.
Sechs Jahre hernach ließ der Graf die elf Knaben adelich geputzt und geziert in sein Schloß, da jetzt das Kloster Weingarten steht, bringen, lud alle seine Verwandten und Freunde zu Gast und war fröhlich. Und als das Mahl schier vollendet war, hieß er die elf Knaben, alle roth gekleidet, einführen, und siehe da, alle waren dem zwölften, den die Gräfin behalten hatte, an Gestalt, Größe und Gliedern so gleich, daß man eigentlich sehen konnte, wie sie von Einem Vater gezeugt und unter Einer Mutter Herzen gelegen waren.
Dann aber stand der Graf auf, und frug feierlich seine Verwandten und Gäste, was doch ein Weib, das so herrlicher Knaben elf umbringen wollte, für einen Tod verschulde? Machtlos und ohnmächtig sank die Gräfin bei diesen Worten zu Boden, denn ihr Herz sagte ihr, daß ihr Fleisch und Blut zugegen waren; und als sie wieder zu sich gebracht worden, fiel sie dem Grafen zu Füßen und flehte um Gnade. Auf das Bitten der Gäste ließ sich der Graf endlich erweichen.
Zum ewigen Gedächtnisse der wunderbaren Geschichte aber begehrte und verordnete der Graf in seiner Freunde Gegenwart, daß seine Nachkommen sich fürder nicht mehr Grafen zu Altdorf, sondern Welfen, und sein Stamm der Welfenstamm heißen solle.
Das Bayern-Buch : Geschichtsbilder und Sagen aus der Vorzeit der Bayern, Franken und Schwaben - Joseph Maria Mayer, 1869