Spät zur Herbstzeit sah einmal ein Wildschütze auf dem Joch zwischen der Geren- und der Gachtspitze und oberhalb Höfen ganz einsam und allein einen Stier grasen, und da er sonst nirgend eine Viehherde sah oder hörte, dachte er sich: "Holla! der hat sich auch verspätet oder ist vergessen worden," und ging seines Weges fort, ohne sich weiter um den Stier zu kümmern. Als es Abend geworden war und es schon stark dämmerte, begab er sich in die nahe Hütte, um zu übernachten. Man war aber aus der Alpe längst abgezogen, und darum richtete er sich selbst das Lager zurecht und legte sich dann schlafen. Es dauerte gar nicht lange, so ging die Thüre auf, und es kam der Stier herein, den er hatte grasen sehen, und der sich sonderbarer Weise in die Feuergrube legte. Da sah der Wildschütze, daß es da nicht mit rechten Dingen zugehe, dachte sich aber: Wart nur Stier, ich hab ja eine geweihte Kugel im Gewehr und will´s doch mal probieren, ob ich dich nicht weiter bringe, und schoß richtig nach dem Tier. Da krachte der Schuß so entsetzlich, und es dröhnte und donnerte so arg, als wollten alle Berge einfallen. Der Stier aber war nun aus der Feuergrube verschwunden.
Reiser, 1895