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Entlang des Plansees um die Jahrhundertwende
Serie aus: Außerferner Nachrichten ab dem 19. März 1986
Als Christian Singer seine Dokumentation über den Plansee verfaßte, blieb so manche Geschichte unberücksichtigt. Seine Mutter Klara sammelte diese und stellte einen Tag aus dem Leben Peter Singer für die AN zusammen. Mit Humor und Einfühlungsvermögen wird dem Leser eine längst versunkene Welt vor Augen geführt.
Den Roßrücken hinauf plagt sich das Gespann des Fischers Peter Singer. Seine
Rosse sind müde, obwohl die Last nun viel geringer ist, denn die drei großen Fischbonzen[*] sind längst leer geworden. Auch der Fuhrmann ist vom weiten, holprigen Weg zum Fischverkauf ins Inntal und noch mehr vom Kampf mit dem Wegelagerer, der ihm nach dem Fernpaß auflauerte, ziemlich erschöpft.
Peter Singer
Sein kleiner Sohn allerdings hockt frisch und munter auf dem 'Trän'[*]-Wägelchen, noch immer stolz auf den diesmal recht hart errungenen Sieg seines an Raufhändel gewöhnten Vaters. Der Räuber wird wohl den Bader aufsuchen müssen...[*]
Endlich ist die Anhöhe mit der Allerseelenbuche erreicht und der Bub ist recht
froh, daß es noch früh am Tage ist und die Pferde nicht aufgeregt wiehern. Dies zeigt nämlich zu Zeiten der Dämmerung an, daß der riesengroße Geist mit dem Totenkopf wiedereinmal an seinem Lieblingsplatz unter der Buche umgeht und Mensch und Vieh zum Schwitzen bringt.[*] Sein darüber lachender Vater beruhigt ihn mit dem Versprechen, diesen bösen Geist demnächst in den 'Staubifall'[*] zu bannen, denn 'wenn früher in der Umgebung von Reutte irgendwo ein Geist zu retten war, so geschah dies in den Stuibenfällen' liest man in einer alten Sage, in der es dann weiter heißt: 'So trug man seinerzeit auch den
Geist 'Hans Bumm' unter Trommelklang und Pfeifenspiel in einer Flasche oder in
einer Dose in die Falle. Der 'Plumpergeist' wurde in einem Kittelärmel dorthin
gebracht und dabei war merkwürdig, daß man, sobald man aufhörte Musik zu machen, den Geist nicht mehr weiterbrachte.[*]
'Denk nicht so viel an Geister', rät der Vater dem abergläubischen Buben, 'unternimm lieber mit deinen Brüdern einen Ausflug auf dem Viehweg zum Stuibenfall, bei gutem Wetter könnt ihr dort so um 1/2 4 Uhr beobachten, wie durch die Verdunstung ein schöner Regenbogen entsteht.'
Flotter geht's dann den Fischweg hinunter zu dem von einem 'Landmann' aus Breitenwang[*] erbauten Frauenbrünnele. 'Welch glaubensloser Jäger mag dies wohl gewesen sein', sinnt der Bub schon wieder, 'der von der gegenüberliegenden Seite den Kugelstutzen auf das Bild der Gottesmutter gerichtet hat. Welches Glück, daß er ihm keinen Schaden zufügen konnte.'[*] Er denkt auch daran, daß hier, an der ersten Frischwasser-Wechselstelle, bereits die ersten toten Fische aus den Bonzen geholt werden mußten.
Wenige Minuten später freuen sich beide, daß nun mit dem Flachsee[*] (kleiner Plansee) bereits heimatliche Gewässer in Sicht sind. Da erregt ein schnell überholendes Separat-Eilwägelchen des Kutschers sowieso leicht erregbares Gemüt:
'Diese Lohnkutscher aus Partenkirch mit ihren 'Extraposten'-Wagen, was haben die
bei uns so durchzubrausen, es fehlt gerade noch, daß auch diese schrecklichen Ungetüme von Autos, wie man sie überm Fern schon sieht, sich an meinem See entlangzufahren wagen und mit ihrem Krach und Gestank unsere Ruhe stören und das Wild vertreiben!'
Nicht nur dieses Thema wird während der kurzen Rast bei seinen Brüdern Karl und Toni im Gasthof Seespitze weitergesponnen. Man spricht auch über die
Schwierigkeiten, die ihnen gewisse Jagdbesitzer neuerdings bereiten. Man wolle sie nur mehr das im See schwimmende Wild abschießen lassen und nicht wie gewohnt auch im weiteren Umkreis.[*] Da die
Frauen der Seespitzwirte gerade wieder einmal hoch zu Roß unterwegs nach Garmisch sind, -angeblich zu einem dringenden Einkauf- nutzen die Brüder die Gelegenheit, ungestört den neuesten 'Selbstgebrannten' zu verkosten und dabei kommen
sie unweigerlich wieder auf den Rummel der letzten Bärenjagd im Herbst 1873[*] und die 'ergötzlichen' Folgen bei den beherzten Männern zu sprechen.
Einer der drei beginnt Teile aus dem nachher darüber verfaßten Gedicht 'D'Bearejagd' zu zitieren:
'Auf, Burgar, kummet unter’s G’wehr,
Drei Beare rucket a'
Sie kummet scho, bei meiner Ehr,
Beim Plansee hinta ra.
Itz richtet un all Gabla hear,
Und d’Flögel 0 dazue,
Verrisse hond ja scho’ die Bear,
Drei Kölble und a Kuah!'
Aber die sechs jagdfrohen Bürger aus Reutte mußten sich dermaßen oft und ausgiebig Mut antrinken, daß das lange Gedicht wahrheitsgemäß endet mit den
Worten:
'Sie bringen statt drei Bearevieh
Sechs fürchtig - Affe mit!'[*]
Da kehrt eine Gruppe von Heiterwangern, 'den vollbepackten Schnerfsack am
Rücken und derbe Stecken in der Hand' und einige 'königliche Jäger, kühne Adlerfedern oder einen Gamsbart am Hut' zu einer Stärkung ein. Sie lassen sich mit viel Lärm in der Seeveranda nieder und berichten, daß sie mit weiteren zwei- bis dreihundert Leuten aus der Umgebung als 'Wildtreiber und Wildversteller' bei den gerade anberaumten Hochjagden des Prinzregenten Luitpold von Bayern angeworben seien.[*]
Die Brüder trennen sich, der eine eilt ins Freie, um Tische und Stühle vom Rand des Sees, wohin sie wegen des großen Andranges am Sonntag beim Konzert der Reuttener Musikkapelle gestellt werden mußten, schnell noch ins Gasthaus zu bringen.[*]
Peter Singer spannt seine Pferde wieder vor den Wagen und weiter geht's in frischerem Trab mit den inzwischen gut ausgeruhten Pferden entlang des Sees. Nach einiger Zeit erzählt er seinem Sohn:
'Es war ein harter Winter im Jahre 1879,[*] damals fror der See schon im November so
fest zu, daß man ihn überschreiten konnte. Aber merke, erst wenn Fuchsspuren über
den See führen, trägt das Eis dich und sogar die Pferde mit Sicherheit.[*] Wie du weißt, haben wir aber trotzdem mit manchen Pferden arge Schwierigkeiten, sie auf das meist mit Schnee bedeckte Eis zu bringen, denn sie spüren das Wasser unter sich.'
Sein Sohn hört ihm nicht sehr aufmerksam zu, denn er beobachtet gerade einen Steinadler[*] in den Lüften. Ob dieser sich wohl auf den eben über den Weg gehoppelten und
in, den Alpenrosen-Büscheln[*] verschwundenen Berghasen stürzen will?
Wieder ein kurzer Aufenthalt am Uferweg. Ein paar Breitenwanger Bauern mit ihren schweren Rössern verzögern die Weiterfahrt. Sie sind gerade dabei, Holz in den
See einzuwerfen, das sie dann am Ufer entlang gegen den Wind flößen müssen. Heitere Worte fliegen hin und her, der vorbeifahrende Seebesitzer mußte sich -es ist bereits grundbücherlich niedergeschrieben- dazu verpflichten, die Breitenwanger beim Ablagern, Einwerfen und Flößen von Holz nicht zu behindern. Dafür hat er auch das Recht, auf derselben Strecke längs des Ufers seine Fischernetze zum Trocknen aufzuhängen, sofern eben die Bauern während ihrer Holzarbeit dadurch nicht 'beschränkt' werden.[*]
An der 'Höll' vorbei lenkt der Fuhrmann das lange Gefährt - die drei Bonzenuntersätze mußten ja hintereinander befestigt werden - etwas vorsichtiger, der Weg führt auch zu knapp an der tiefsten Stelle des Sees vorbei. Er sieht unterhalb der Straße einige Ziegel liegen, die ihn an das große Unglück erinnern, das den Lenker eines Ziegeltransportes hier traf. Dieser stieß mit einem Gegenfuhrwerk zusammen und sein schweres Gefährt zog ihn mitsamt den Pferden in die Tiefe. Trotzdem konnte Peter ein Schmunzeln nicht unterdrücken als ihm einfiel, was die Frau des armen Mannes beim Überbringen der Unglücksbotschaft als erstes sagte: 'Und ausgrechnt heint hot d'r Toni di' nuje Stiefl aziache miasse ...'[*]
Etwas später trifft man am Kaiserbrunnen einen malerisch gekleideten 'Dürschner' mit seinem Fäßchen Steinöl, der sich von seiner weiten Wanderung mit dem 'unentbehrlichen Volksheilmittel' kurz ausruht. Er erzählt, daß sein 'Dürschnerblut' landauf, landab reißenden Absatz fand und er nun auf dem Weg zum Tiroler Ölwerk, in Reutte sei, das ja auch den Ölschiefer des Planseegebietes verarbeite.[*] 'Woher kommt der eigenartige Name Dürschner?' erkundigt sich der wißbegierige Bub. Der Händler erklärt ihm bereitwillig, daß er die Geschichte nicht so genau kenne, aber auf jeden Fall hänge sie mit der Sage von den Riesen Haymon und Thyrrus zusammen und aus letzterem entwickelte sich im Laufe der Zeit der Name 'Dürschner', der schon vor einem halben Jahrtausend gebraucht worden sein soll, als ein Ritter die Erlaubnis erhielt, dieses Öl brennen zu dürfen.[*]
Mensch und Tier haben sich inzwischen am klaren Wasser des Kaiserbrunnens
erfrischt, an der Quelle, die schon 'manch gekrönte Häupter' gelabt hat. Der Sage
nach soll sich Kaiser Ludwig der Bayer auf der Jagd hier verirrt haben, als er einst im Kloster Ettal weilte.[*] Peter Singer jedoch wirft einen ziemlich finsteren Blick auf das 'König-Ludwig-Häuschen' oberhalb der Straße und findet seinen Entschluß noch immer richtig, die von ihm gekaufte kleine Villa abzureißen und aus den Brettern einen größeren Pferdestall neben der Wagenremise zu bauen.[*] Er kann nicht umhin, seinem Sohn wieder eine Belehrung zu verpassen: 'Hebt mir ja nicht die Hände zu den Kutschen hoch -so wie es die Kinder am Kreckelmooser Schranken machen- wenn wieder einmal der 'Hof' vorbeifährt, nur um ein paar Bonbons oder kleine Münzen zu erhalten.[*] Seid zufrieden, wenn ich euch jedesmal die guten frischen Semmeln vom 'Knittel-Bäck' mitbringe.
Peter Singer (1842 - 1913) hat nicht viel für das höfische Leben und die politischen Ränke übrig, aber dennoch, als sein Blick über das durchsichtige Grün des Sees und die Schönheit der ihn umgebenden Natur schweift, denkt er an das Fischerlied vom Plansee[*] und ist stolz, daß
'so mancher hohe Gast erkies,
sich dieses kleine Paradies'
Er singt leise die dritte Strophe:
'Vor fünfhundert Jahren schon
ließ Margareth den Fürstinthron
suchte Freuden - fand sie immer
hier auf See's Sternenschimmer
Fischerknechte
frisch die Rechte
schlagt den Ruderkreis
zu des Sanges Weis'
Endlich, nach ein paar weiteren Kurven, kann er den ersten Blick auf einen Teil seines Gutsbesitzes werfen: Das Gasthaus 'Zur Forelle', die erst teilweise fertiggestellte 'Dependance', Eiskeller, Waschhaus, Schoppen, Stallungen mit Wagen und Futterremisen, Schiffs- ,und Badehütten.[*]
Plansee um 1874, Zollamt und Zollschranken befinden sich noch am See
Doch da rötet sich sein Gesicht. Am Weg vor seinem Heimathaus stauen sich die
Wagen und Wägelchen -es ist gerade die Zeit der Ammergauer Passionsspiele und in
die Forelle kehrt man gern zu einem Imbiß ein, nicht nur wegen der schmackhaften,
frischen Fischspeisen, sondern auch der hervorragende Alpkäse von der benachbarten Alpwirtschaft und der Südtiroler Rötel tragen dazu bei. Der Wirt Peter kann sich bereits vorstellen, wie emsig seine junge Frau im Hause herumwirtschaftet, um mit diesem Andrang fertigzuwerden, hat sich doch ihr ausgeprägter Geschäftssinn eine gute Lösung für solche Gelegenheiten einfallen lassen: Jeder, der nicht sofort nach dem Verzehr und Begleichen seiner Rechnung die gemütliche Wirtsstube verläßt um dem nächsten Gast Platz zu machen, hat auch die folgende Mahlzeit, die automatisch serviert wird, zu berappen.[*] Die Veranda wird sicher wieder den 'Exzellenzen' und anderen höher gestellten Reisenden reserviert sein, denen er sich dann ganz besonders widmen müsse. Dieser turbulente Betrieb sagt ihm, der gerade das Aufblühen des Fremdenverkehrs im Bayrischen und 'überm Fern' allerorten miterlebt, nicht besonders zu.
Viel lieber verschwindet er mit einem seiner sieben Boote auf dem 1400 Tagwerk großen, nach dem Augenmaß 1 3/5 langen und 2/5 Stunden breiten See,[*] um das -100 m lange Zugnetz auszulegen. Die ergiebigsten Stellen kennt er bereits von seinem Vater und Großvater, die beste Zeit dafür ist genau dann, wenn es so hell ist, daß er gerade noch die Ziffern auf seiner riesigen Taschenuhr erkennen kann. Er fing des öfteren Forellen mit über 20 Pfund (1 altes Pfund ist 45 dag), in der letzten Zeit sogar einmal ein Prachtstück von 36 1/2 Pfund,
das sich dann noch einige Zeit im Fischwasser des 'Etablissements' besten Wohlbefindens erfreute, wie die Innsbrucker Nachrichten schrieben.
Seinen spektakulärsten Fang allerdings, eine 75 Pfund (33 2/3 kg) schwere Lachsforelle, verschwieg er den neugierigen Zeitungsschreibern. Hatte er doch schon genug Schwierigkeiten diese abzusetzen, da gerade in diesem Jahr ein Handwerksbursch in der Nähe der Forelle ertrank und makabre Geschichten darüber, was die Forelle so fett gemacht hatte, bereits weit verbreitet waren. Es passierte ihm allerdings auch einmal, daß er in dem zusammengezogenen großen Netz nur einen einzigen Saibling vorfand, dem der zum Jähzorn neigende Fischer dann in blinder Wut den Kopf abbiß und beide Teile mit einem 'nicht gerade frommen' Wunsch zurück ins Wasser warf.[*]
Die 'Ausfragereien' Ludwig Ganghofers, den er oder einer seiner jungen Söhne öfters über den See rudern mußte, schätzte er auch nicht sehr. Hat doch schon ein anderer Dichter[*] niedergeschrieben, daß die Menschen um den Plansee wohl 'fest
gebaut, hoch gewachsen, zäh und von ernster Lebensauffassung, regen Geschäftsgeistes seien, aber selten den Hang zum beschaulichen Denken verraten', was der Einheimische nicht sehr treffend findet. Und dabei blickt er gerade wieder sinnend auf das mit Alpenrosen übersäte gegenüberliegende Seeufer, von wo man die Gäste manchmal zum Mittagessen 'heimjodeln'[*] müsse und auf die Almwirtschaft hinter seinen Gebäuden, auf deren Matten an die 50 Allgäuer Kühe[*] Weiden.
Dahinter taucht, vom Ostende des Sees kommend, ein dicht hintereinander gehendes Wanderergrüpplein auf, die Wallfahrer aus Grießen, vermutet Peter Singer, die wiedereinmal darum beten, daß der Plansee nicht durchbricht. Unterhalb des
Grenzberges fließt nämlich ein Bach mit einer immer gleichbleibenden Wassermenge heraus, von dem sie aus diesem Grund annehmen, daß er unterirdisch aus dem Plansee kommt und einmal größeres Unheil anrichten könnte.[*]
Der kleine Hans blickt in Richtung Thorsäulenbach und möchte wiedereinmal die
Sage vom Kampf des Riesen am Patscherkofel mit dem Thorsäulenriesen hören, aber
sein Vater winkt ab, er ist mit anderen Gedanken beschäftigt, denn endlich sind
sie zu Hause angekommen.
Die Pferde werden zum Ausladen des Mitgebrachten für kurze Zeit noch an die Eisensäulen des Gitters um das Denkmal für König Maximilian von Bayern angebunden.[*]
Ehe er sich in den Trubel stürzt, verweilt Peter Singer noch einen Moment im Schatten der danebenstehenden alten Linde und denkt, wie herrlich ruhig es doch im Winter sei, wenn in Richtung Ammergau nicht einmal ein Fußpfad führt und der Weg nach 'Reuti' auch nur dann offen ist, wenn er selbst ihn mit Pferdeschlitten befahrbar macht. Die große Wildfütterung am Thorsäulenbach auf der 'Scheucher-Michl'Wies, bei der sich meist gut 300 Stück Rotwild sammeln, ist für mich genug Wirbel am geliebten Plansee, meint er.