300 Jahre Bestand des Franziskanerkloster in Reutte (1928)
Artikel aus dem Außferner Boten anlässlich des 300-jährigen Bestandes des Franziskanerklosters in Reutte (1628-1928)
...Obwohl der heutige Markt Reutte schon im 13. Jahrhundert als Oertlichkeit in der Geschichte auftritt, so entbehrte er doch lange der Wohltat eines eigenen Gotteshauses und einer eigenen Seelsorge. In kirchlicher Hinsicht unterstand damals wie heute noch diese Ortschaft der Pfarrei Breitenwang, einer Gründung des St. Magnusstiftes in Füssen. Mit dem ständigen Aufblühen Reuttes machte sich aber auch das Bedürfnis nach einer Ortskirche immer reger und reger bemerkbar, bis endlich im 15. Jahrhundert dort eine kleine Kapelle zu Ehren der heiligen Anna erbaut wurde. Hiemit aber war dem Verlangen der Bewohner nur teilweise entsprochen, ihr obenerwähnter Wunsch sollte erst viel später erfüllt werden. Um das Jahr 1621 war Josef Tosch Richter in Reutte, der wie seine Ehegattin den Minderbrüdern sehr freundlich gesinnt war und ihnen vielfach auf ihrer Durchreise durch Reutte Gastfreundschaft erwies. Da fügte es sich, daß einst der Hochw. Provinzial der Liroler Franziskanerprovinz P. Heinrich Seyfried bei diesem Ehepaar Einkehr hielt und im St. Anna-Heiligtume das hl. Meßopfer feierte. Im Verlaufe eines Gespräches mit dem Richter erwähnte der Ordensobere, daß der Platz bei St. Anna für die Errichtung eines Klosters recht geeignet wäre. Später tauschten dann diese beiden Männer vielfach Briefe über diese Angelegenheit aus. Doch erst durch das Hinzutreten eines Dritten, keines Geringeren, als des Landesfürsten Leopold selbst, gewann dieser Plan greifbare Formen. Fürst Leopold — seit 1623 Landesregent — war zuerst für den geistlichen Stand bestimmt, doch trat an ihn nun die Frage, der Begründung einer fürstlichen Linie heran, wozu er jedoch der Bewilligung des hl. Vaters bedurfte. Deshalb unternahm er 1625 eine Reise nach Rom. Doch bevor er sein Vorhaben ausführte, wandte er sich zuerst an den heiligmäßigen Minderbruder Chiussi, der allgemein als Ratgeber galt, um Auskunft, ob seine Absicht auch dem göttlichen Willen entspräche. Der Gottesmann riet ihm, zuerst sein Mütterlein, die hl. Anna zu befragen. Leopold tat, wie ihm geheißen und erhielt zur Antwort, sein Plan stünde mit dem göttlichen Willen im Einklange, doch solle er die hl. Anna gar eifrig verehren. Nachdem er vom Papst Urban VIII. die Erlaubnis, sich zu verehelichen, erlangt hatte, verlobte sich der Fürst auf der Heimreise mit Claudia, der Tochter des Herzogs von Toskana. Um von Gott sich einen Sohn zu erbitten, gelobte Leopold, den Minderbrüdern der tirolischen Provinz in Reutte ein Kloster zu erbauen.
Das Provinzialkapitel stimmte dieser Gründung und der Uebernahme der St. Annakapelle durch die Franziskaner bei und Hochw. P. Seyfried sandte P. Friedrich
Gailer als künftigen Wegbereiter mit meheren Brüdern nach Reutte, wo sie im Richterhause gastliche Aufnahme fanden. Inzwischen aber hatte schon Fürstbischof Heinrich in einem Schreiben vom 8. September ds. lf. die endgiltige Entscheidung gefällt. Als am 17. Mai des nächsten Jahres der Fürst Leopold mit der Geburt eines Sohnes beglückt wurde, trug er dem Richter Tosch auf, alles Notwendige zur Grundsteinlegung des Klosters, welche im März 1628 vor sich gehen sollte, vorzubereiten. Am 15. März traf der Regent in Reutte ein und begab sich, begleitet von vielem Gefolge, zur Stelle, wo die Gründung stattfinden sollte. Der Hochw. P. Provinzial selbst nahm die Einweihung des Grundsteines vor, worauf ihn seine Durchlaucht zu Ehren der heiligsten Dreifaltigkeit, der seligsten Jungfrau Maria, der hl. Mutter Anna und des hl. Bekenners Franziskus legte. Zwei Tage später stellte er zu Innsbruck den Stiftsbrief aus, und ließ ihn am 20. März durch eine bischöfliche und fürstliche Kommission den P. P. Franziskaner feierlichst überreichen. Ueber das Leben der Brüder in der Entstehungszeit des Klosters berichten drei Briefe der ersten Oberen. Die Bauern von Reutte hatten die Tage unter sich verteilt, an denen sie die Mönche mit Speise und Trank versorgten. Um zum Bau Material zu gewinnen, wurde vom Richter in Lech-Aschau ein baufälliges Haus gekauft. Am 5. Juli 1531 bezogen die Brüder das neue Kloster.
Die St. Annakapelle, die man heute in der Vorhalle der Kirche sucht, wird der Ueberlieferung nach, auf den gottseligen Bruder Nikolaus von der Flue zurückgeführt. Im Jahre 1500 baute der Ehrenbergische Pfleger Georg Gossenbrot an diese kleine Kapelle ein größeres Gotteshaus.
Beim Schmalkaldeneinfall im Jahre 1552 wurde das Heiligtum von Mordbrennern schwer heimgesucht. In der Kirche befanden sich damals vier Altäre und zwar stand Zwischen zwei Seitenaltären der Kreuzaltar. Unter dem Franziskanerpater Seyfried erhielt diese Kirche einen Tabernakel und das heiligste Sakrament. Am 9. Dezember 1629 erschallte hier zum erstenmal das gemeinschaftliche Chorgebet und am 13. Juni 1632 fand die erste Fronleichnamsprozession von der St. Annakirche aus statt. Böse Zeiten erlebten die Brüder im dreißigjährigen Kriege. Beim feindlichen Einfall (1632) waren sie so armselig daran, daß der Obersthauptmann Prüffer im Kloster gar keine Lebensmittel vorfinden konnte. Als im Jahre 1678 auf dem Tannberge eine pestartige Seuche ausbrach, leisteteten die P. P. von Reutte Seelsorgeaushilfe. Dabei wurde P. Kornelius Feinbach von dieser Seuche selbst ergriffen und erlag ihr als Opfer treuer Nächstenliebe am 8. Oktober in Lech.
Bei dem am 22. Mai 1703 ausgebrochennem Brande, wurde nebst 52 Häusern des Marktes auch das Kloster ein Raub der Flammen. Es konnten dabei weder Archiv und Bibliothek noch die sonstige Einrichtung des Klosters gerettet und nur einige Bergungsgüter, welche wegen Kriegsgefahr dem Kloster übergeben worden waren, in Sicherheit gebracht werden. Obwohl die Bewohner von Reutte durch dieses Unglück selbst bettelarm wurden, ging ihnen der Verlust des Klosters sehr zu Herzen. Doch konnte dieses dank der tätigen Mithilfe der Bürgerschaft noch im selben Jahre wieder errichtet und am 4. November bezogen werden. Im 18. Jahrhundert haben die P. P. auch die Stelle eines Festungskaplan versehen und den Kindern auf der Festung auch Unterricht erteilt.
Bei der im Jahre 1772 ausgebrochenen Grippe mußten sie wegen Erkrankung des Pfarrers und des Kaplanes von Breitenwang auch in der dortigen Pfarre die Seelsorge ausüben. Auch die Auswirkungen des Rationalismus, unter Josef II. hatten unsere Bruderschaften betroffen, so wurde ihnen zum Beispiel die Gottesdienstordnung staatlich vorgeschrieben und die Reliquienverehrung in der Kirche verboten. Unsere P. P. mußten in dieser Zeit bis in das Walsertal und fast bis nach Bregenz Aushilfe leisten. Vom Gnadenaltare wurde ihnen befohlen, alle Weihegeschenke wegzunehmen und auch das heilige Grab zu entfernen. Um diese Zeit haben die P. P. auch die Lehererstellen versehen. Als im Jahre 1800 die Franzosen in Reutte einfielen, herrschte dort eine große Not und Teuerung, von der auch das Kloster stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ebenso hatten die Ordensleute viele Drangsale von den Feinden zu erdulden, die ihnen oft das Kloster anzuzünden drohten. Nach der Aufhebung des Klosters Füssen im Jahre 1803 übergab der dortige letzte Abt P. Aemilianus Hafner, ein geborener Reuttener, dem hiesigen Konvente sehr wertvolle Bibliothek- und Sakristeieinrichtungen.
1846 wurde das Franziskanerkloster wieder von einem Brande heimgesucht, doch konnte damals manches aus der Bibliothek und Sakristei gerettet werden, wobei auch König Max II, von Bayern, der sich zu dieser Zeit gerade auf einer Durchreise befand, mit seiner Dienerschaft sehr wertvolle Hilfe leistete. Der Wiederaufbau ging unter großen Schwierigkeiten und sehr langsam vorwärts, so daß erst am 31. August 1850 die Kirche wieder konsekriert werden konnte. Seit 1863 haben die Hochw. P. P. wieder ihre eigene Gruft, während sie von 1783 bis zu dem genannten Jahre in Breitenwang begraben werden mußten.