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Auf dem Arlberg eingeschneit
Aus: Das interessante Blatt vom 28. Sep. 1899
"...war ein erst fünfzehn Jahre alter Knabe aus Sanct Anton in das südwestlich befindliche Maroithal geschickt worden, um die Schafe zu holen. Seit dieser Zeit wurde er vermisst und Jäger, Hirten, Bauern und andere Leute zogen erfolglos aus, ihn zu suchen. Schon glaubte man, dass der Arme in den Schneestürmen jener Tage unter eine Lawine gekommen oder sonstwie verunglückt sei. Die Rettungsaction wurde indes doch, obwohl man kaum mehr eine Hoffnung auf Rettung hatte, fortgesetzt. Da kam man endlich auch zu der mehrere Stunden jenseits des Joches befindlichen halbzerfallenen sogenannten Gstoanser Rinderhütte, die schuhtief im Schnee stak, und in dieser fand man nun in einer Ecke auf dem wenigen in der Hütte vorhandenen, ganz durchnässten Heu den seit acht Tagen vermissten Knaben. Wunderbarerweise war er noch am Leben und bei Bewusstsein, aber seine Beine waren starr und bis zur Hälfte schon erfroren. Die Kleider und der Mantel, seine einzige Hülle, waren ebenfalls durch und durch nass. In der Hand hatte er sein Scapulier *. Die Freude, sich gerettet zu sehen, kann man sich kaum vorstellen. 'Mein Lebtag!' - rief der fast auf wunderbare Weise gerettete arme Knabe aus - 'vergiss ich Euch dös nit. Länger als heut' hätt ich's nit dermacht.'
Der Knabe hatte sich in dem Schneetreiben verirrt und war endlich zu dieser Hütte gekommen. Von dort gieng es nicht mehr weiter. In der Tasche hatte er ein Stück Brot, das er am Montag Vormittag verzehrte. Seitdem hat er nichts mehr genossen. Am Dienstag hörte er draußen im Thal die Hirten schreien, welche das Vieh heimtrieben; er rief ihnen zu, bekam aber keine Antwort, sie hatten ihn unglücklicherweise nicht gehört. Nun wurde es still. Nur der Sturm, der über die Höhen zog, heulte durch die zahlreichen Lücken des Gebälkes und trieb eiskalte Schneemassen herein. Das zerfallene Dach gewährte ebenfalls keinen Schutz. Der Knabe muss dann eingeschlafen sein oder das Bewusstsein verloren haben. Er konnte gar nicht glauben, dass es schon der achte Tag war, als man ihn fand; er meinte, er sei erst drei Tage hier. Ein kräftiger Mann nahm den armen Knaben auf den Rücken und trug ihn bis zur Branntweinhütte im Ferwallthale, wo man ihn mit warmer Milch labte. Es ist Hoffnung vorhanden, den armen Hirtenknaben zu retten..."
* Wetterfleck, lodener Überwurf