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Die Veste Ehrenberg bei Reutte
Aus den Innsbrucker Nachrichten vom 7. August 1897

die Ruine Ehrenberg
Südöstlich von dem ansehnlichen Marktflecken Reutte an der tirolisch-baierischen Grenze erhebt sich der kegelförmige, freiaufragende Tauernberg, während sich im Westen, fast einen Halbkreis beschreibend, die Aschauerberge hinziehen. Fast in der Mitte in südlicher Richtung ragt der Turnelle — eine kahle Kalkpyramide — empor, an dessen Fuße ein Mittelgebirge als Vorschub gegen Reutte hin sich lagert.
Dies Mittelgebirge ist durch eine Senkung, durch welche die Poststraße von Reutte über Lermoos und den Fernpass ins Oberinnthal sich durchschlängelt, und durch welche seit dem Jahre 1858 eine bequeme Fahrstraße gebahnt worden, in zwei Theile geschieden und bildet für sich schon von Natur aus einen wichtigen Engpass, welcher nach und nach durch menschliche Kunst zu einem der festesten Punkte des Landes umgeschaffen wurde und, schon seit dem grauen Mittelalter, unter dem Namen "Klause und Veste Ehrenberg" bekannt, dem damit verbundenen Gerichte seinen Namen gegeben hat.
Links von der Straße auf einem vorspringenden hohen Felsen erhoben sich später die Werke der Hochschanze oder das "Fort Claudia", im Thale darunter, wo es sich schluchtenartig verengt, stand gegen tausend Meter hoch über dem Meere die den Weg und die ganze Thalschlucht sperrende Klause mit großen Gebäuden — noch im vorigen Jahrhundert mit massigen Bollwerken versehen und vom Schlosscommandanten mit zwei Compagnien Soldaten bewacht. Rechts davon auf gebietender Höhe behauptete Schloss Ehrenberg, von zahlreichen Vorwerken umgeben, seinen Platz, und westlich vom Schlosse noch höher oben, ragt ein alles beherrschender Felskamm, gekrönt mit den Ueberresten der zuletzt entstandenen Festung (genannt der "Schlosskopf") ehrfurchtgebietend noch in den massenhaften Ruinen, stolz empor, eine schöne in die weite Ferne reichende Aussicht gewährend.
Die Gründung der Veste Ehrenberg verliert sich in das Dunkel der Vorzeit. Möglicherweise legten schon die Römer hier Befestigungen an. 1293 wird der erste Schlosshauptmann erwähnt. Aber erst seit dem 16. Jahrhundert beginnt die Festung für Tirol wichtig zu werden. Früher samt der dazu gehörigen Herrschaft verpfändet, wie z. B. von Maximilian I. an die Fugger, wurde sie Anno 1546 von dem Schmalkaldenführer Schärtlin von Burtenbach genommen und besetzt, zwei Monate später aber von den Tirolern zurückerobert. Auch Moriz von Sachsen nahm am 19. Mai 1552 die Klause im Sturme, während die Festung selbst andauernden Widerstand leistete.
Als im Jahre 1632 die Schweden Tirol immer mehr bedrohten, wurde Ehrenberg neuerdings in Vertheidigungszustand gesetzt, die Besatzung verstärkt und alles aufgeboten, dem Feinde einen warmen Empfang zu bereiten. Erzherzog Leopold V. als damaliger Tiroler Landesfürst erschien selbst, um die Vertheidigungsanstalten zu leiten, und deckte mit seinen Kleinodien die Auslagen. Ihm folgten am 14. Juni die Bergknappen von Schwaz und 12000 Mann Kriegstruppen. Bereits standen 16000 Schweden und 200 Franzosen am 20. Juni in Füssen. Erzherzog Leopold nöthigte sie jedoch mit seinen Truppen und den Tiroler Landesvertheidigern am 17. Juli zum Rückzüge. Aber Herzog Bernhard von Weimar rückte zehn Tage später mit frischem Kriegsvolke heran, schlug die Tiroler ins Gebirge zurück, eroberte die Vorwerke am Lech im Sturme und lagerte sich auf der Ebene von Reutte. Die von den Tirolern kräftigst vertheidigte Klause von Ehrenberg steckte indes seinem Siegesfluge ein unverhofftes Ziel, er musste schließlich mit großen Verlusten schmählich aus dem Lande weichen. Nicht glücklicher war der Schwedeneinfall unter dem Feldmarschall Gustav Wrangel im Jahre 1646. Bereits war von den Feinden der Lech überschritten, Füssen erobert, die Ebene von Reutte gewonnen, Frauen und Kinder auf der Flucht. Aber ein kleines Häuflein Tapferer vereitelte die feindlichen Stürme auf die Festung Ehrenberg, zurückgeworfen bog der Marschall seitwärts aus nach Feldkirch, wo dann nach einiger Zeit der Friede seine weiteren Kriegsunternehmungen einstellte. Den höchsten Grad von Berühmtheit erhielt die Festung im Kriege des Jahres 1703. Als nämlich damals der Curfürst Maximilian Emanuel von Baiern in der Erbfolgefrage des spanischen Reiches rivalisierend gegen Oesterreich auftrat, entbrannte der Krieg fast gleichzeitig in ganz Nordtirol. Graf Lützelburg erschien am 29. Juli 1703 plötzlich mit einer Schar Baiern vor der Veste Ehrenberg und nahm sie nach einigem Kanonieren durch Capitulation. Die Baiern verhielten sich darauf unter dem Commandanten Baron Heiden mehrere Wochen lang ganz still im eroberten Platze ohne Kampf und Ungebür gegenüber der Nachbarschaft. Eine schwache österreichische Truppe stand unter dem Hauptmann von Koppenhagen zu Heiterwang, ohne indes ernstliche Miene zu machen, die Festung dem Feinde wieder abzugewinnen. Da kam nun aber der kaiserliche Feuerwerker Ferdinand Schieferer auf den Gedanken, die Einnahme derselben von einem höher gelegenen Gebirgskopfe, später "Schlosskopf" genannt, zu versuchen und auszuführen.
Am 29. Juli thaten sich dann auch wirklich die ehrenbergischen Gerichtsunterthanen, sturmlustige Bauern, unter der Anleitung des genannten Feuerwerkers mit Beihilfe eines österreichischen Fähnrichs und sieben Unterofficieren zusammen, und bahnten einen Weg bis auf den Schlosskopf hinauf, der ob Rieden waldreich emporsteigt. Sie schafften vier Geschütze mit eisenbeschlagenen Holzröhren bis auf die bewaldete Höhe und beschossen das Schloss so glücklich, dass die bairische Besatzung am 8. August einen Vergleich zum Abzug schließen musste. Der letztere erfolgte mit klingendem Spiele, mit Waffen und Brotvorrath unter kriegerischer Ehrenbegleitung. Die Ehre eines solchen Abzuges konnte jedoch den unglücklichen Commandanten nicht vom Tode retten, er wurde vom bairischen Kriegsgericht zum Tode verurtheilt und bald darauf zu Mittenwald enthauptet. Nun wurde der "Schlosskopf", dessen hohen Wert die Affaire vom Jahre 1703 zur Genüge bekundet hatte, anno 1741 befestigt und regelmäßig ausgebaut mit einem Aufwande von 3000000 Gulden. Dadurch erhielt die Festung Ehrenberg ihre vollständige Ausgestaltung, sie bestand jetzt aus der Klause am Heerwege, dem darüber liegenden Schlosse und dem soeben genannten Schlosskopfe, kunstreich in einander eingreifend, einander wechselseitig unterstützend. Die Klause am Wege war ein weitläufiges Gebäude mit zwei Compagnien Besatzung und eigener Kapelle zur Sonntagsmesse, das Schloss hatte, wie Beda Weber in seinem Werke über Tirol schreibt, drei bis vier Stockwerke, mit vier Kasernen, sechzehn Officierszimmern, drei Bäckereistuben, einer Kapelle, einem Krankenhause, und ausgerüstet mit vielen Waffen, 56 Kanonen und Lebensmittel für 600 Mann auf mehrere Jahre. Es hatte überdies zwei verborgene Gänge zu Ausfällen, einen schönen Exercierplatz und zwei Brunnen.
Im Schlosskopfe befanden sich zu Friedenszeiten 18 Kanonen und eine gut bestellte Niederlage von Lebensmitteln, aber leider kein Wasser, man musste sich mit Schnee und Regenwasser behelfen. Da diese Erweiterung der Festung sich immer mehr vom eigentlichen Zwecke Ehrenbergs als Gerichtssitz entfernt hatte, so wurde der Hauptmann des Schlosses als solcher im eigenen Bereiche eingesetzt und bloß auf militärische Geschäfte beschränkt; für die Rechts- und Richterangelegenheiten trat ein unabhängiger Beamter und Pfleger zu Reutte in Thätigkeit. Der letzte ständige Schlosscommandant von Ehrenberg war Johann Philipp von Hesberg, Oberstlieutenant und Ritter des Maria Theresien-Ordens, gestorben zu Reutte im Jahre 1786. Kaiser Josef II. hatte beschlossen, alle Festungen des Landes als dem neuen Kriegssystem nicht mehr anpassend aufzuheben, zu diesem Ende wurde auch Schloss Ehrenberg sammt der Klause im Jahre 1783 an zwei Bürger von Reutte um den Preis von ganzen 17000 Gulden verkauft. In der Klause siedelten sich mehrere Familien an, es entstand eine Schenke und in einer Bastei wurde ein Bierkeller gebaut.
Aehnliches Schicksal erlitten die Vorwerke; das Fort "Claudia" oder die Hochschanze zunächst am Flügel des Passes wurde um 80, das Vorwerk am "Kühloch" um 100, das Sternschänzel um 180, das Lechschänzel um 150 Gulden verkauft. Zur Zeit der Franzosenkriege erwachte jedoch wieder das Gefühl des Volkes für die Nothwendigkeit dieses Bollwerkes an den natürlichen Engpässen des Landes. Im Jahre 1796, als General Moreau in Deutschland, Napoleon in Italien die Siege der französischen Republik unaufhaltsam verfolgten, da wurden unter der Oberleitung des Grafen Lehrbach Ehrenbergs Verschanzungen auf Kosten der Tiroler Landschaft nochmals in möglichst brauchbaren Stand gesetzt und vom Außferner Landvolke besetzt. Die Republikaner streiften schon an die westliche Landesgrenze, Willens in Tirol einzufallen. Der österreichische Feldmarschall-Lieutenant Fröhlich jedoch, und unter ihm General Wolf, rückten ihnen über Reutte hinaus entgegen, griffen sie bei Weißenbach unweit der Grenze an und schlugen sie am 13. September so nachdrücklich zurück, dass sie in diesem Kriege keinen Versuch mehr machten, die Tiroler Berge von der Lech-Gegend her anzugreifen. Das Unglück der österreichischen Waffen im Jahre 1800 brachte aber die Veste Ehrenberg dann doch in die Gewalt der Feinde und nun wurden alle diese Plätze endgültig zerstört; seit dieser Zeit schwindet auch ihre Wichtigkeit aus der Geschichte des Landes.
Sie stehen größtentheils als Ruinen in der herrlichen Gegend und erinnern den Alpenfahrer schon bei seinem Eintritt in die gefürstete Grafschaft an die Heldenthaten, durch welche die Bürger und Bauern Tirols all die Jahrhunderte her die schöne Bergheimat hüben und drüben der Alpenpässe gegen feindliche Anstürme vertheidigten.
der Torbogen bei der Klause Ehrenberg - Foto: Ludwig Reiter - ca. 1940er Jahre
