Von Albert Lechleitner (1948)
Boden und Unterpfafflar (Unterhaus)
Vor Jahren gedachte ich, auf einer Ferienwanderung von Imst über den Hochtennen (nicht "Hahntennen" wie Kartographen wollen) begriffen, lächelnd einer Jugendbegebenheit. Damals hatte ich am St. Servatiustage der althergebrachten Bittprozession von Elmen nach Bschlabs als Kreuzträger vorauszuschreiten. Üble Vorbilder ließen in mir den Vorsatz reifen, den massiven Messingknauf meines Kreuzes im Augenblick der uns einholenden Prozession zu einem so kräftigen Puffe zu mißbrauchen, daß dem Partner womöglich das Kreuz entglitte. Sei es, daß der gleichaltrige Bschlaber Bub genügsam gewitzt war, sei es, daß er mir das heimtückische Vorhaben aus den Augen las... er wich geschickt aus und lachte lauthals. Aber nicht genug dieser Beschämung: weil mein Streich in die Luft ging, verlor ich selbst das Gleichgewicht, und der Zufall wollte es so, daß ich just auf ein flaches, weiches Etwas zu sitzen kam, an dem auf Sommerweiden in der Regel kein Mangel zu bestehen pflegt. Die eigentlichen Nachwehen überraschten mich jedoch erst nach der Heimkehr in der Küche, denn mein Vater, der in Ermanglung eines Spanischen einen Strick erwischt hatte, fühlte sich bewogen, meinen Hosenboden gründlich und nicht eben behutsam zu reinigen. Währenddem flößte er mir in abgebrochenen Sätzen Lehren ein und ich verhehle nicht, so einprägsam, daß ich das zeitlebens nicht mehr vergaß.
Zur Einsicht freilich, daß Vaters Handgriffe den berühmten
Nürnberger Trichter an nachhaltiger Wirkung bei weitem übertrafen, gelangte ich erst viele Jahre später. Heute bin ich sogar fest überzeugt, daß die schöne Stadt Nürnberg in jüngerer Zeit nicht so übel in aller Munde geraten wäre, hätte bei manchem anstatt des Eintrichterns öfter die vereinfachte Methode meines Vaters Anwendung gefunden.
Von dort an begann ich mich mit Bschlabs zu beschäftigen. Der Vater verriet mir auf meine noch geraume Zeit vorsichtigen Fragen, die Bschlaber stammten aus dem Engadein und dazumal seien die Lechtaler noch allesamt Heiden gewesen. Die Mutter teilte mir zu meiner größten Überraschung mit, auch ich hätte Bschlaber Blut in meinen Adern, denn mein Urgroßvater, der Paul Fridle, sei anno 1804 in Bschlabs auf die Welt gekommen. Demnach war ich also kein gewöhnlicher strauphaariger Elmer Bub, sondern ein Gemenge aus Engadeinern, Bschlabern und Heiden!
Das gab lange schwere Kopfarbeit und auch später fühlte ich mich, so oft ich nach Bschlabs kam, irgendwie von der Mahnung jenes großen Redners des klassischen Altertums bedrängt, der sagte:
"Eine Schande ist's, als Fremdling zu stehen auf Heimatboden".
Ruine Alt-Starkenberg
Inzwischen hatte ich die langgestreckten Teilwiesen durchmessen, die
Ruine Altstarkenberg von ferne begrüßt und nun beherzigte ich den wohlgemeinten Rat der Ponterwirtin in Imst, die so vielen Lechtalern fürsorgliche Herbergsmutter gewesen, am Antoniusbrünnl ja nicht ohne Trunk vorüberzugehen, denn das Salvesental (um 1300 Brumsalvar, 1348 Sulvesen) sei steil und steinig. Wo nur die Pfützen hingeraten sein mochten, die wie die Sage beim heimeligen
"Kömfuir" oft genug gegangen war, von einem Papste vor langer langer Zeit ins hinterste Pitztal (1265 Püzzental) und wilde Salvesental gebannt worden seien? Die gruseligen Schemen hätten geradezu eine Landplage gebildet, denn von Betläuten zu Betläuten sei niemand, der bei Nacht ohne etwas Geweihtes über Land ging, vor allerlei Tücken gefeit gewesen und gar mancher habe sich sogar den Tod geholt!
Hier waren die wohlbekannten Schweinsteine und wenig später erlaubten schütterstehende baumbartbehängte Rottannen einen ersten Blick auf die Alpe Maldon (1674 m). Der struppige Senner hatte ausnahmsweise einen guten Tag und gewährte mir um billiges Geld die Bitte um Milch und ein Butterbrot. Das also waren die Überreste des einstigen Hofes Maldan, der, von den landreichen Herren auf Altstarkenberg gegen Ende des 13. Jahrhunderts auf Almgebiet der Gerichtsgemeinde Imst angelegt, anno 1380 den Herren von Rottenburg auf Neustarkenberg jährlich 22 Pfund Berner, 1 Schaf, 1 Lamm und 1 Kitz zinste, dafür aber von der Herrschaft 5 Schot "chorn" (=Gerste 1 Schot = 2 Star oder rund 50 Liter) als Gegengabe erhielt! Der Ertrag des Hofes muß rasch gesunken sein, denn 1406 zinste er nur noch 8 Pfund Berner, ferner 1 Gemse mit der Haut oder dafür 1 Pfund Berner. Im Jahre 1448, also vor genau 500 Jahren, wurde der Hof vom damaligen Besitzer Hödli der Gemeinde Imst verkauft und
Herzog Sigmund verlieh ihn dieser, damit er wieder in eine Alm verwandelt werde. Damit verschwand die Siedlung, aber das dort herangewachsene Geschlecht der Maldaner, von dem das Feuerstättenverzeichnis des Jahres 1427 an verschiedenen Orten Tirols Kunde gibt, und das sich nun Maldoner schreibt, hat sich bis heute erhalten.
Das rauhe Almgebiet um die Maldon ließ die Vorstellung schwer werden, daß dort einmal jahraus jahrein Leute hausten. Wo mochten sie nur das Heu für den Winterbedarf gefechst haben? Aus vielen Flurnamen kann allerdings gefolgert werden, daß das Klima erheblich milder gewesen sein müsse, denn sie sagen uns, daß mancherorts ausgedehnte Laubwälder grünten, wo heute der kälteliebende Nadelwald Alleinherrscher ist. Die Jahre 1294, 1303/04, 1333, 1352-1354, 1363-1366, 1385-1389 waren denn auch sehr regenarm und aus Westtirol sind aus dieser Zeit sogar Heuschreckenplagen bekannt. Mit der darauf einsetzenden Klimaverschlechterung dürften sich auch die Lebensbedingungen in hohen Lagen da und dort ziemlich rasch ins Üble gewandelt haben.
Die Wasserscheide Hochtennen (1895 m), damit auch der Beginn des Tales Pfafflar, war erreicht und nun grüßten tief im Westen die wohlvertrauten Heimatberge aus der Allgäuer Kette. Ein kurzer Rundblick zeigte zur Rechten den Steig zum Steinjöchl als kürzeste Verbindung zum nördlichen Besitz der uralten Großgemeinde und -pfarre Imst, die ja vom hintersten Pitztal über den Kamm der Lechtaler Alpen hinweg bis Berwang, Bichlbach, Lermoos, Ehrwald und Gramais reichte. Zur Linken öffnete sich zwischen den vom Mutekopf nach Norden stoßenden Scharnier und den Osthängen des Kögele eine weite Mulde, in der neben dickborkigen Lärchen abenteuerlich verknotete Zirben die dunklen Nadelbüschel lustig im Aufwind schaukelten.
Pullamandla (Alpenanemone)
die Blockhäuser von Pfafflar
Boden
Bschlabs (Taschach)
In gemütlichem Abstieg, da und dort eine brennrote Alpenrose, "Pullamandla" (Samenstände der Alpenanemone) und Braunellen zu einem Gesichts- und Geruchssinn gleichermaßen erfreuenden Sträußchen pflückend, kam die älteste Siedlung dieses Gebietes in Sicht. Einsam und verlassen trauerten die sonngeschwärzten Holzhäuschen um das erstorbene Leben in ihrem Geviert und kicherten wohl in Sturmnächten im Wissen um ihr Bestehen und der Menschen Torheit und schnelles Vergehen. Wann ist Pfafflar entstanden? Wer hat das erste Blockhaus erbaut? Wir wissen es nicht mit Bestimmtheit. Eine Urkunde um das Jahr 1300 spricht noch von Alpen in "pavelaers", doch um die Mitte des 14. Jahrhunderts beurkundet das Urbare der Herren von Starkenberg, die Schwaige zu Fafflaer gelte jährlich 500 Käse Herrengeld, von denen jedes Hundert 10 Pfund Berner wert sein solle, ferner 2 Schafe, 4 Schot Schmalz und 2 Kitze. Dafür, daß auf 5 Jahre 500 Käse abgelassen worden seien, werde für die gleiche Zeit kein Korn gegeben. Ähnlich dem Hofe Maldan sank auch der Ertrag der Schwaige Pfafflar, denn zu Beginn des 15. Jahrhunderts zahlten
"Oswalt Chunz Hans Martein" nur noch 18 Pfund Berner.
Die Schwaige
(Viehhof) Pfafflar dürfte sich ihrer Lage nach gleich den Schwaigen in Bschlabs, von denen die Rede sein wird, vorwiegend mit Schafen bestoßen gewesen sein. Eigenartig ist der hohe Käsezins, denn andernorts finden sich zu jener Zeit zumeist Schwaigen mit einer Angabe von jährlich 300 Käsen.
Bald war der erheblich jüngere Weiler Boden (1357 m) erreicht, für den erst 1808 ein Kaplan gestiftet wurde. Den Bauern dieses Weilers und jenen der Rotte Brandegg gehören heute alle Güter in Pfafflar, das seit etwa einem Jahrhundert verödet liegt und nur zum Verfüttern des Heus und zur Mahdzeit einiges Leben um sich sieht. Den dankbaren Wanderungen ab Boden über das Angerletal zur
Hanauer Hütte, dann über das Sattele nach Gramais, das einst auch zum Tal Pfafflar gezählt worden ist, galt nur kurzes Gedenken, denn Unrast trieb mich weiter.
Die schwache Wegstunde von Boden nach Taschach mit seinem seit 1650 mit einem Kaplan versehenen Kirchlein bot eitel Kurzweil. Da waren einmal die im Einst und Jetzt verhafteten Gedanken nimmermüde Begleiter, hier überraschte ein malerischer Ausblick, dort war die Streinbachschlucht so eng, daß man vermeinte, ein kecker Sprung lasse das gegenüberliegende Ufer gewinnen, es prunkte ein Distelfalter mit seinem schmucken Kleid und auf Moospolstern verlockten sogar erste Schwarzbeeren zum Naschen.
War ich nun in Bschlabs? Ja und nein, denn es besteht weder ein Weiler noch ein Hof dieses Namens. Unter Bschlabs werden nämlich sieben größere und kleinere Siedlungen (Zwislen, Egg, Taschach, Mitterhof, Windegg, Sack und Aschlen) verstanden.
Auch dieses nur durch das Vorherrschen von Mergel (aus Kalk und Ton zusammengesetzte Gesteine) besiedelbar gewordene weitläufige Gebiet war einst rätoromanisches Weideland. Die ausnahmslos deutschen Weilernamen verraten jedoch, daß die ebenfalls zumeist von den Herren von Starkenberg gegen Ende des 13. Jahrhunderts gegründeten Schwaighöfe von Deutschen angelegt wurden. Da zinste in der Mitte des 14. Jahrhunderts der Mitterhof in "Pischlabs" jährlich 300 Käse in dem schon bekannten Gewicht, 5 Pfund Berner, 2 Schafe, 3 Schot Schmalz, 2 Kitze und erhielt von der Herrschaft 4 Schot Gerste. Zu Anfang des 15. Jahrhunderts werden 3 Höfe genannt und zwar: In "Pischalbz" zinste der Hof
"von Greben" 10 Pfund Berner und ein Schot Schmalz und erhielt 2 Schot Gerste;
"Tomann in Taschach" zinste vom Mitterhof 23 Pfund, 4 Schot Schmalz, 2 Schafe, 2 Kitze und erhielt 6 Schot Gerste;
"Hanns von Zwissel" und
"Kristian Rueff" zinsten vom Mitterhof 21 Pfund, 4 Schot Schmalz, 1 Schaf, 2 Kitze und empfingen 5 Schot Gerste. Aus dem Urbarn der Herren von Rottenburg, die seit etwa 1350 die gleich nach 1318 erbaute Burg Neustarkenberg besaßen, geht hervor, daß derselbe Hof um 1380 bis 1400, der Hof "das Schwisselen" 500 Käse und die früher erwähnten kleinen Zinse zu geben hatte; die Herrschaft leistete 4, bzw. 5 Schot Korn.
Aber nicht nur die Herren von Starkenberg und deren Nachfolger besaßen in diesem Hochtal Grundrechte, denn schon 1284 schenkte Christian von Imst einen mit 300 Käsen zinspflichtigen Hof "zwischen den Grebern" in "Bislaufs" dem 12 Jahre früher zum Andenken an Konradin gestifteten Kloster Stams.
Aus den einzelnen Schwaighöfen entstanden nach und nach die aufgezählten Weiler, die dann die für die Ursprungshöfe vorgesehenen Zinse gemeinsam aufbrachten. Dieses Werden verdeutlicht, daß anno 1582 in Pfafflar 7, Mitterhof 5, Egghof 7, Zwislhof 5 und Mitteregghof 2 selbständige Häuser und Haushaltungen bestanden. Aber bereits 1643 wurden in Pfafflar (wohl mit Boden) 17, Mitterhof 11, Egg 16, Zwisl 11 und Mitteregg 6 Haushaltungen gezählt. In diesem Jahrhundert erreichte die Besiedlung des Tales Pfafflar ihren Höhepunkt. Nach Staffler hielt sich die Bevölkerungszahl an 200 Jahre so ziemlich, sie ging aber in der Zeit von 1840 bis 1910 von 320 auf 189 zurück und hält heute bei 180. Der Ursachen sind mehrere. Sicher ist, daß das Leben in den hochalpinen Einzelhöfen an die körperlichen und geistigen Kräfte höchste Anforderungen stellt. Sie benötigen abgehärtete und anspruchslose Menschen und gerade diese passen sich den leichteren Lebensverhältnissen in tieferen Lagen leicht an. Dieses beste Bauernblut flutet immer von oben nach unten und nie umgekehrt. Die Entsiedlung der Berghöfe dauert auch jetzt noch an, sie wird aber durch Erbauung von Güterwegen, Seilbahnen und anderen Maßnahmen, die die Erleichterung der Lebenshaltung zum Ziele haben, zum Wohle des Gesamtvolkes gehemmt.
Straße von Taschach nach Boden (1957)
Daß das Leben auf den Berghöfen an die Körperkraft hohe Anforderungen stellt, ist bereits hervorgehoben worden. Man denke nur an das Tragen von Heu, Ackererde und selbst Dünger! Als dann die Grundherren die Zinse in Geld umwandelten und die Zuweisung von Gerste einstellten, ergab sich, daß der Ertrag der kleinen Ackerflecke den steigenden Bedarf auch nicht annähernd deckte. Das Mehl, darunter vorzugsweise das wohlfeile Maismehl, mußte daher entweder von Imst oder vom Lechtal hereingetragen werden. Was dabei Frauen zu leisten vermochten, habe ich selbst erlebt.
Ich hatte dem geistlichen Herrn in Bschlabs, der auch ein Gasthaus führte, etliches Brot zuzustellen, das vielleicht an 20 Kilo schwer war. Kurz oberhalb Elmen holte mich eine Frau aus Bschlabs ein, die einen Sack Maismehl zu 75 Kilo, den Bund nach unten, kapuzenartig über den Kopf gestülpt hatte. Meinen Vorschlag, den "Bösen Tritt" auf einem bequemen Seitenpfade zu umgehen, ließ sie nicht gelten... das sei ein Umweg. Schon der an sich nicht allzu lange Anstieg versetzte mich in Schweiß. Sie aber ging mit uhrwerkgleichen Schritten und ohne sichtliche Anstrengung, immerzu mit leichtem Atem plaudernd. Nach etwa einer Gehstunde wies ich verlangend auf die Rastsitze beim "Roten Tal". Sie machte eine wegwerfende Handbewegung; rasten möge sie nicht, denn das "Sackl" drücke nicht. Nach weiteren dreiviertel Stunden war ich ziemlich ausgepumpt und sie kaum merklich erhitzt daheim angelangt. Ich bekannte mir beschämt ein, daß mein Bschlaberblut schon merklich verdünnt sein müsse...
Der "Tuif Gröba" war überquert, das verlassene Einödhöfchen Zipfl, das Gegenstück zum Weiler Sack, lag hinter mir. Diese kurzen und bündigen, der Bodengestaltung trefflich gerecht werdenden Namengebungen klingen sogar in feststehenden Redensarten an. Sobald nämlich der Einheimische völlige Ratlosigkeit verdeutlichen will, sagt er nicht selten: "Der weiß nicht, ist er im Zipfl oder im Sack".
Die weitere Wanderung führte durch prachtvollen Hochwald zur ebenfalls verlassenen Siedlung Gröben, von deren zwei Häuser binnen kurzem der letzte Stein verschwunden sein wird und wo ich den im Jahre 1284 erwähnten Schwaighof suche, schließlich mit Erreichung des Gröbentales zum Ende des geschichtlichen Tales Pfafflar. Ein Rundblick zeigte ausgedehnte, zum Teil bequeme und grasreiche, zum Teil steile und dürftige Bergwiesen, die rätoromanischen Hochalmen Alpeil und Alitt, zum Ohr drang das an- und abschwellende Rauschen des Streinbaches aus der tiefen Schlucht und überall waltete der besänftigende Friede der Bergeinsamkeit.
Das Ahnenerbe in mir sträubte sich indes gegen das sanfte Einlullen. Was war es doch nur mit den vordeutschen Namen Pfafflar, Bschlabs und dem das Tal entwässernden Streinbach? Wiewohl hiezu nicht berufen, wage ich meine Meinung zu sagen:
Aus "Pfafflar" wollte man ganz einfach "Pfaffenleer", "Pfaffenöd" lesen. Schneller hingegen, dem anscheinend die älteste bisher bekanntgewordene urkundliche Schreibweise "pavelaere" nicht geläufig war, sagt einleuchtend: "Pfafflar" ergibt sich gut aus "pabolar" entsprechend dem lat. "pabularium = Weide-, Futterplatz". Demgegenüber tritt eine andere Deutung, es sei vielleicht erlaubt, an eine vom romanischen "pave" bestimmte Wortbildung zu denken, weil das Hochtal in jener fernen Zeit, als ihm Rätoromanen den Namen gaben, aus mehrerlei Gründen gefürchtet sein mochte, unbedingt zurück. Dem geschieht auch kein Eintrag, daß im Steuerkataster des Gerichtes Imst noch im Jahre 1628 steht:
"Ist ein grobs, wilds Tal, fern vom Land entlegen".
Wesentlich vielfältiger tritt Bschlabs aus den Urkunden hervor: Pislaves, Buslavs 1284, 1290 und 1319,, Bischlavfs 1315 und 1336, Bischlabas, Pislavs 1360, Pischabs zu Beginn des 15. Jahrhunderts, Pischalbz, Pischlalbz, endlich 1583 Bschlabs. Nicht umsonst hat Schneller diesen Ortsnamen in seinen Beiträgen zur Ortsnamenkunde Tirols unter
"Harte Nüsse" aufgezählt. Er deutete auf "passa l'aves" = hinter den Bächen, und Steub las "pos l'aves" = über dem Wasser, daß heißt jenseits des Wassers für den von Imst Kommenden.
Folgende Überlegungen scheinen mir eher zum umstrittenen Ziel zu führen: Grundsätzlich soll bei der Erklärung eines Namens deshalb von der ältesten urkundlichen Schreibweise ausgegangen werden, weil ein Name zu jener Zeit noch am ehesten so gehört worden sein kann, wie er aus dem Munde derer kam, die ihn schöpften. Sodann ist es durch nichts gerechtfertigt, die hüben und drüben des Hochtennen heute noch lebende Sage über die Herkunft der Siedler achtlos zu übergehen... und die Sage läßt die Bschlaber aus dem Engadin kommen. Nun mündet im Oberengadin ein Quertal zum Veltlin, in dem am Fuße des Mont Palü der heutige Markt Poschiavo liegt, von dem an urkundlichen Erwähnungen genannt seien: 824 Postelave, 1258 Puschlav, 1367 Boslave, 1408 Puschlaff, im 13. Jahrhundert aber auch Postclavium, Pusclavium und Puschlava. Vergleicht man diese Schreibweisen mit den für Bschlabs überlieferten, also z.B. Puschlav und Buslavs, so ergibt sich nach Ausstoßung des u und Bedichtung des v in b mühelos Bschlabs, ferner aus "Buschlaber". Da ferner bekannt ist, daß die Vögte von Matsch nicht nur im Unterengadin und im nahen Puschlav allerlei Rechte besaßen, ferner, daß die Oberengadiner das Salz von alters her regelmäßig von Imst holten und vielleicht wie die Unterengadiner bei Nauders zollfrei über die Grenze führten, schließlich, daß Puschlav im 13. Jahrhundert unter Fehden schwer litt, läßt sich ohne zu große Wagnis folgern, daß ähnlich den Walsern auch eine Gruppe freiheitliebender, deutschsprechender Puschlaver (im ganzen Oberengadin waren Deutsche verstreut), sei es aus eigenem Antriebe, sei es auf Anwerbung der Herren von Starkenberg, die aus ihren Almen größeren Nutzen ziehen wollten, ins Tal Pfafflar auswanderten und dort die bekannten Schwaighöfe anlegten, die ihnen zum Erblehen gegeben würden.
So gesehen ist der Wortsinn von Bschlabs (Pesclavium - Puschlav - Poschiavo = Schlüssel zu den Alpen und ähnlich) nur mehr von untergeordneter Bedeutung.
Rätoromanen haben, wie erwähnt, das Hochtal Pfafflar als Weideplatz benützt. Aufgetrieben wurden, wie in ähnlichen Lagen besonders auch im Engadin, mit großer Wahrscheinlichkeit Schafe, die dazumal fast allgemein gemolken wurden. Wiewohl keine Gewißheit besteht, so darf doch angenommen werden, daß die mitgeteilten Zinse, wenn vielleicht auch nicht ausschließlich, so doch zum größten Teil aus Schafkäsen bestanden. Die Romanen nannten die Hammel "castratis" und daraus bildete das Westtiroler Deutsch Gstraun, Mehrzahl Gsträun, gesprochen Gstrein mit Nasallaut. Vor alters hieß der Streinbach, zuweilen fälschlich "Strinebach" (das ist in Striemen in mehreren schmalen Armen fließend) geschrieben, und weiter als "Strengbach" (= schnell fließender Bach) gedeutet, allgemein "Gstreinbach". Im Mittelalter wurde für "Hammel" öfter kurzweg "Bock" geschrieben und gesprochen und viele Schafschwaigen hatten Widderfelle (pokvel) zu zinsen. Unser Streinbach ist daher kaum etwas anderes als ein Namensbruder des an der tirolisch-vorarlbergischen Grenze ebenfalls von Süden her in den Lech fallenden Bockbaches.
Diese Erinnerungen an eine Wanderung durch das Tal Pfafflar seien mit den Hinweisen abgeschlossen, daß einst auch auf der linken Talseite ein Saumweg bestand, ferner, daß für den Abstieg in das Lechtal nach und nach nicht weniger als vier Richtungen mit zum Teil erstaunlichen Höhenunterschieden eingeschlagen wurden. Die ältesten (obersten) zwei Wege zeichnen sich im Bergwiesengebiet der "Habichegg" nur mehr als flache Bodenwellen ab, die aber zur Mahdzeit von der anderen Talseite her leicht verfolgt werden können. Deren Fortsetzung zur Lechtalebene enthüllte der Kahlschlag des Bannwaldes in den Jahren 1905 bis 1909; heute sind diese altehrwürdigen Spuren vom Jungwald bereits wieder verdeckt.