Auf einem hohen Felsen des Schüttentobels unweit Ebratshofen stand einst das Schloss Hohenegg. Noch vor drei Jahrhunderten war außer den spärlichen Ruinen nur ein uralter Turm zu sehen, der wohlerhalten über den Felsen emporragte.
Auf diesem Schloss wohnten in alten Zeiten drei Schwestern. Fast jeden Tag sah man sie mit einem Korb voll Spindeln am Gitter eines der Schlossfenster sitzen. Oft zu Mittag, dann wieder zur Nachtzeit sah man sie aus dem Schloss herauskommen, wo sie dann an den Bach des Schüttentobels gingen und sich kämmten. Man sah sie auch Leinwand im Sonnen- und Mondschein bleichen und aufhängen. Bei bevorstehender Wetteränderung sahen die Leute öfters auch ein glänzendes Rad sich drehen, welches sie für den goldenen Garnhaspel der Burgfräulein hielten.
Auf dem Schlossfelsen war auch ein "
Basilisk", der die Menschen schon durch seinen bloßen Anblick vergiftete. Der Drache hatte Flügel, Goggelersfüße und einen Schlangenschwanz, sowie funkelnde Augen, deren Blick Tod und Verderben brachte.
Eines Abends ging ein frecher Bursche aus Ebratshofen am Schloss Hohenegg vorbei und schrie unflätige und rüde Sprüche in Richtung des Schlossturmes hinauf. Da sprang der ungeheure Drache, laut mit den Schuppen rasselnd, aus dem Gebüsch und stellte sich dem Kerl in den Weg. Das Untier bäumte sich auf und spie Feuer in seine Richtung, woraufhin der Bursche ohnmächtig zusammensank.
Als er wieder erwachte, geschüttelt vom Fieber, war die Geisterstunde schon längst vorbei. Mühsam schleppte er sich nach Hause und wurde dort auf das Krankenlager geworfen. Das hitzige Nervenfieber verstärkte sich und er schwebte lange Zeit in Lebensgefahr. Erst nach vielen Wochen im Bett kam er wieder einmal in die Stube herunter und war aber nur noch ein Schatten seiner selbst. Während seines Fieberwahns hatte er immer wieder von dem Drachen gemurmelt, jetzt da er wieder wach war wollten die Leute mehr über die Bestie erfahren. Der Bursche sprach auch, aber seine Worte ergaben keinen Sinn mehr. Anderthalb Jahre nach diesem Ereignis, im Leben nur noch dahinsiechend, sank er in das kühle Grab.
Reiser 1895