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Beiträge zur ältesten Geschichte von Reutte

Aus einer Vortragsreihe des Universitätsprofessors Dr. Ignaz Ph. Dengel im August 1924

der junge Ort Reutte



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Aus: Ausferner Bote des Jahres 1924
Die Geschichte des Ortes Reutte war bis jetzt in ziemliches Dunkel gehüllt. Angeregt durch den Ausferner Verein für Heimatkunde, der sich zur Aufgabe gesetzt hat, die geschichtlichen und kulturellen Denkwürdigkeiten der Heimat zu erschließen unb dadurch die Liebe zur Heimat und zum Volkstum, in der die stärksten Wurzeln unserer Kraft liegen, zu neuer Entfaltung zu bringen, habe ich mich bemüht, den Schleier zu lüften, und es ist durch eingehende Studien in den Archiven von Reutte und Innsbruck geglückt, einige Bausteine herbeizuschaffen, die geeignet sind, über die Entstehung und über die Anfänge des Marktes Reutte neues Licht zu verbreiten.

Fragen wir zunächst, woher stammt der Name "Reutte"? Seine Deutung führt uns zurück in die Zeiten der ersten Besiedlung und läßt uns die Entstehungsweise des Ortes erkennen. Reutte kommt, wie die alten Schreibweisen: Reuti, Räuti andeuten, von dem Worte: reuten, roden, d. h. Ausrotten des Waldes, wobei an die Aushebung der Wurzelstöcke der Bäume zu denken ist, da es sich darum handelte, einen geeigneten Platz für eine Ansiedlung zu gewinnen. Die Stelle, wo Reutte liegt, war erfüllt mit Lechschutt und wildem Strauchwerk, wahrscheinlich auch mit einem Erlenwald, und es bedurfte der fleißigen Arbeit von Jahrhunderten, um die Gegend allmählich auszureuten und auf diese Weise besiedlungsfähig zu machen.

Der Lechfluß bildete in der Urzeit einen mächtigen Gletscher, der das ganze Becken des Lechtales ausfüllte. In viel tausendjähriger Arbeit bahnten sich die schmelzenden Eismassen einen Ausweg durch die Lechklamm bei Füssen und indem so der Lech allmählich ein Abflußgebiet erhielt, entstand das heutige Landschaftsbild mit seinen Schotterwällen und Hügelreihen, seinen Furchen und Niederungen. Daß das Becken von Reutte ursprünglich ein großer Tal- und Stausee war, kann man noch heute auf Schritt und Tritt sehen. Der Untergrund von Reutte und Umgebung besteht aus Schutt und Gerölle, die von den Lechwassern abgelagert wurden, und über diesen Schuttmassen lagert nur eine verhältnismäßig dünne Schichte von Humus, ein Umstand, der Mitschuld trägt an der geringen Fruchtbarkeit dieser Gegend.

Die Frage, wann Ausfern zum erstenmal von Menschen betreten worden ist, läßt sich nicht beantworten. Menschen mit primitiver Kultur gab es in Süddeutschland schon lange vor Beginn der eigentlichen geschichtlichen Zeit. Die Ureinwohner von Tirol waren die mit den Etruskern stammverwandten Räter. Nördlich und westlich davon wohnten die keltischen Vindelicier; zu ihnen gehörten die Lycatier d. h. die Lechanwohner. Wir dürfen annehmen, daß die unnahbare und rauhe Wildnis unserer Gegend diesem Volke höchstens als Jagdgebiet, nicht aber als Siedlung gedient hat.

Geschichtlich beginnt es in Ausfern erst zu dämmern mit den Tagen der Römerherrschaft in Deutschland. Etwa seit Christi Geburt waren die Römer durch 4 Jahrhunderte hindurch bestrebt, die Donauländer, das alte Keltenland, zu erobern und zu romanisieren, d. h. mit römischer Sprache und Kultur zu durchdringen. Durch die Eroberung des Alpenlandes traten die Römer auch unserer Gegend näher. Partanum (Partenkirchen), Cambodunum (Kempten), Brigantium (Bregenz) waren römische Niederlassungen. Wahrscheinlich stand auch bei Ernberg, und zwar auf der Höhe des Falkenberges (Hochschanz) ein Wachtturm, der den Zweck hatte, den Straßenzug zu schützen, der durch Zwischentoren über Heiterwang, den Falkenberg, Lähn und Breitenwang nach Bayern führte. Reste dieser römischen Nebenstraße, dieses "Heidenweges", wie man ihn später nannte sind noch heute erkennbar. Einzelne romanische Namen im Lechtal, sowie Funde von Römermünzen lassen ebenfalls auf die Anwesenheit römischer Soldaten in dem Bezirke Ausfern schließen.

In der Zeit der Völkerwanderung konnten die Römer dem ungestümen Andrängen der vom Norden und Nordwesten heranflutenden germanischen Völkerschaften nicht Stand halten. Das jetzige schwäbische Flachland wurde von den kriegerischen Alamannen besetzt, die sich Schwaben nannten und bei zunehmender Bevölkerung auch längs der im Gebirge gelegenen Flußtäler vordrangen. Auf diese Weise bekam Ausfern seine schwäbisch-alamannische Bevölkerung und seine zum Teil mit Tiroler (Imster) Dialektteilen, zum Teil mit bajuwarischen Elementen vermischte schwäbisch-alamannische Mundart, durch die sich dieses Gebiet von dem übrigen Nordtirol so markant unterscheidet.

Der Besiedlung unserer Gegend durch die benachbarten Schwaben folgte die Ausbreitung des Christentums durch den hl. Magnus. Dieser Mönch aus St. Gallen hatte in Füssen eine Zelle u. ein Holzkirchlein errichtet, von wo aus er mit seinen Genossen das umliegende Land bekehrte u. durch Waldrodung u. Bodenbebauung den arbeitsscheuen Schwaben das beste Beispiel gab.

In der Gegend des Säuling, wo der heilige Magnus den Eisenbau eröffnete, traf er ganz verwilderte Menschen an. Nach seinem Tode i. J. 750 entstand aus der Zelle Füssen ein Kloster und das Werk der Christianisierung und Bodenkultivierung wurde fortgesetzt. Ueberall, wo eine bedeutende Ansiedlung stattfand, sorgten die Augsburger Bischöfe, denen unser Gau in kirchlicher Beziehung unterstand, für die Befriedigung der religiösen Bedürfnisse, und so entstanden allmählich die Seelsorgen.

Die erste Seelsorgstation in Ausfern war Aschau. An dieser Stelle befanden sich ausgedehnte Auen von Eschen (daher der Name Aschau). Grund und Boden gehörten dem Kloster Füssen. Die Mönche räuteten und bebauten den Boden und besiedelten ihn mit schwäbischer Bevölkerung. So entstand am linken Lechufer die bis hinauf nach Hornbach im Lechtale sich erstreckende "Provinz Aschau", mit der auch die niedere Gerichtsbarkeit (Niedergericht Aschau) verbunden war. Die Seelsorge neben der uralten Heiliggeistkirche wurde erst im 15. Jahrhundert wegen der häufigen Ueberschwemmungen durch den Lech nach dem höher gelegenen Wängle verlegt.

Die nächsten Gründungen des Füssener Magnusstiftes waren Elbigenalp, Breitenwang und Vils. Um diese 4 Seelsorgsstationen konzentrierte sich im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung das geistige und materielle Leben der noch sehr spärlichen Bevölkerung von Ausfern. Wir müssen uns die allmähliche Besiedlung des Gebietes in der folgenden Weise vorstellen. Ursprünglich war alles mit Urwald bewachsen. Als erste Besucher mögen Jäger in diese wildreichen Täler gekommen sein und hier ihre Jagdzüge unternommen haben. Bei öfterem Erscheinen zeigten sich Gegenden, die eine alpenmäßige Bewirtschaftung und eine Bodenbebauung lohnten. Draußen im vorgelagerten Flachland herrschte infolge der unaufhörlichen Kriege große Unsicherheit, und das mag manchen Schwaben veranlaßt haben, sich in die geschützten Gebirgswinkel des Lechtales zurückzuziehen. Auch von den südlichen Seitentälern, die noch heute zum Teil nach Imst und Landeck gehören, kamen Siedler.

Nach dem allgemeinen Volksglauben war das Lechtal zuerst eine Alpe. Darauf deutet auch der Name Elbigenalp, was so viel heißt wie Alpe des Albico oder Aldo (Adalbert), der also der erste Grundbesitzer und Senner des Lechtales war. Am Rande der Weideplätze entstanden dann Einzelhöfe, die sich allmählich zu dauernden Wohnsitzen ausgestalteten und erst später sich zu Ortschaften zusammenschlossen. Darauf ist es zurückzuführen, daß die heutigen Gemeinden namentlich des Lechtales alle aus einer Anzahl größerer oder kleinerer, selbständig benannter Weiler und aus Einzelhöfen bestehen. Daß Elbigenalp lange Zeit der einzige Ort im oberen Lechtal war, dafür spricht auch der Umstand, daß man heute noch Elbigenalp schlechtweg als das "Dorf" bezeichnet.

Später als das Lechtal trat das Tannheimertal in den geschichtlichen Kreis. Aber auch hier spielte sich derselbe Vorgang bei der Besiedlung ab. Der Name Tannheim heißt so viel wie Heim im Tann, Niederlassung im Tannenwald. Das wildreiche Gebiet diente zuerst den Alamannen als Jagdrevier, dann entstanden in Grän (im Grünen), in Höfen (Rastplatz für weidendes Vieh) bei Tannheim und in Nesselwängle (mit Nesseln bewachsene Fläche) Alpen, bis schließlich einige den Versuch machten, mit dem Weidevieh zu überwintern und um die Weideplätze herum dauernde Einzel-Siedlungen anzulegen, aus denen allmählich die Dörfer entstanden.

Anders lagen die Verhältnisse bei Entstehung des Ortes Breitenwang. Hier führte die alte Römerstraße hindurch, die in der ersten Hälfte des Mittelalters sicher noch in der früher angedeuteten Richtung verlief und wohl erst beim Bau der Veste Ernberg statt über den Falkenberg durch die Klause hindurch verlegt wurde. An dieser wichtigen Heeres- und Verkehrsstraße von Augsburg über den Fern mußte im Talbecken von Reutte am rechten Lechufer notwendigerweise eine Siedlung entstehen. Die geographischen Verhältnisse wiesen auf die abseits vom Lech gelegene "breite Wang" d. h. auf die breite, geräumige Wiesenfläche nordöstlich von Reutte. So entstand der Ort Breitenwang, der urkundlich zuerst i. J. 1094 erwähnt wird und durch den sich mehrenden Durchzugsverkehr sowie durch den Schloßbau von Ernberg bald eine erhöhte Bedeutung erlangte.

Das Schloß Ernberg[], dessen Bau nach der Mitte des 13. Jahrhunderts begonnen wurde (1293 zuerst urkundlich erwähnt), war nicht eine von allerlei anmutigen Sagen umsponnene mittelalterliche Ritterburg, sondern gleich von Anfang an ein nüchternes, kasern- und festungsartiges Amtsgebäude, das einen zweifachen Zweck zu erfüllen hatte. Einmal diente es als Grenzwacht von Tirol zur Verteidigung des Landes und in Friedenszeiten war das Schloß die Gerichtsburg des umliegenden Bezirkes, der sich nach und nach zur sogenannten Herrschaft (Landgericht) Ernberg erweiterte .

Der Schloßhauptmann oder Pfleger von Ernberg war der unmittelbare Vertreter des Tiroler Landesfürsten; in seiner Hand lag der militärische Burgdienst, sowie die gesamte administrative u. Steuerverwaltung. Er hatte auch das Recht des Burgbannes, d. h. er konnte die Gerichtsinsassen zu Arbeiten an der Instandhaltung und Erweiterung der Befestigungsanlagen, zur Herstellung von Wegen, sowie zur Bewachung des Schlosses in Kriegszeiten heranziehen. Mit der eigentlichen Rechtssprechung in dem Herrschaftsgebiete von Ernberg wurde ein rechtskundiger Richter betraut, der in den verschiedenen Orten Gericht hielt. Solche Dingstühle treffen wir im 14. und 15. Jahrhundert in Breitenwang, Pflach, Bichlbach, Lermoos und Reutte. Die Gebiete von Aschau und Vils, die zu den Stiften Füssen und Kempten gehörten, bildeten eigene Pflegeämter mit gesonderter Gerichtsbarkeit.

Die Einkünfte der Pflegschaft Ernberg bestanden aus den Zöllen, die an der Klause zu entrichten waren, aus den Giebigkeiten, Steuern, Gerichtsgebühren, Geldbußen und anderen Leistungen der Untertanen. Aus einem Verzeichnisse der Einnahmen vom Jahre 1412 erfahren wir, daß z. B. von Lorbeer, der von der Etsch durch Ernberg geführt wurde, von jedem Star eine Handvoll und von jedem Ries Papier ein Bogen als Zoll abgegeben werden mußte. Breitenwang war mit einer jährlichen Steuer von 39 Pfd. Berner und 115 Metzen Haber sowie mit Robotdiensten für das Schloß belastet. Der Hof in der Lähn steuerte im Jahre 1424 5 Metzen Haber und ein Huhn. Die Mühl bei Breitenwang zinste jährlich auf Ernberg 38 Metzen Habermehl, außerdem zu Ostern ein Lamm und 30 Eier, zu Weihnachten Weißbrot und Käse. Die Höfe in Zwischentoren waren u. a. verpflichtet, das Schloß mit Brenn- und Schindelholz zu versehen und den Pflegern den Wein vom Fern bis hinauf in die Festung zu führen. Heiterwang mußte 6 Pfund Berner und 14 Metzen Haber, Bichlbach 38 Pfund Berner und 70 Metzen Haber zinsen. Aschau gab 31 Pfund Haller (15 Mark) und 15 Schaffel Haber, jedes zu 17 Metzen. Aus dem Lechtal flossen jährlich 45 Mark an Steuern ein.

Insgesamt betrugen die Steuereinnahmen von Ernberg im Jahre 1420 bei 92 Mark. Der Zoll an der Klause brachte im Jahre 1424 15 Rheinische Gulden ein. Im Jahre 1502 warf die Herrschaft ein Erträgnis von 670 Gulden ab[]. Solange die Landesfürsten von Tirol Ernberg in eigener Verwaltung behielten, waren die Steuern erträglich. Meist aber gaben sie die Pflegschaft in Pacht oder Pfand an Herren und Edle, welche die armen Untertanen mitunter hart bedrückten.

Die steigende Bedeutung von Ernberg als Sitz der militärischen und zivilen Behörden, sowie der aufblühende Frachtenverkehr auf der durch die Klause hindurchführende Straße blieben nicht ohne Wirkung auf die Besiedlung des Talkessels von Reutte. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts bestanden rechtslechisch außer dem Hauptorte Breitenwang Siedlungen in Ehenbüchel (Ernbüchel, Erlenbüchel), Lähn, Mühl und Pflach. Breitenwang hatte im Jahre 1427 mit seinen "Umsessen" 80 Feuerstätten, Aschau 90 Feuerstätten[]. Reutte war damals noch nicht dorfmäßig besiedelt. Man hatte aber bereits begonnen, die Gegend auf der "Straße" (alte Straße zur Klause Ernberg) und auf der Kög (Khäge, Gehege) zu bebauen und hier mehrere Wohnstätten zu errichten, die zu den "Umsessen" von Breitenwang gehörten, d. h. einen Bestandteil dieser Gemeinde bildeten. Die Verkehrsverhältnisse führten dann dazu, daß diese Fraktion von Breitenwang sich rasch vergrößerte und zwischen 1427 und 1440 eine selbständige Dorfschaft bildete, die nach der Art ihrer Entstehung "Reutte" genannt wurde.

Reutte, das ich als Ort urkundlich zuerst in einem Kundschaftsbriefe des Ernbergischen Richters Rudolf Recher vom 19. Februar 1440 (im Gericht zu "Rüty") erwähnt finde[], ist wie Breitenwang eine Verkehrssiedlung, entstanden durch die Bedürfnisse des Verkehrs. Die Muttergemeinde sank aber durch das Aufkommen ihrer Tochter bald zum Nebenschauplatz herab. Sie mußte ihren so lange behaupteten Rang als an der Landes- und Heeresstraße gelegener Ort zu Gunsten von Reutte abtreten, durch welches nunmehr die Straße von der Ernberger Klause herab in der Richtung nach Bayern hindurchführte.

Dieser neue Straßenzug wurde für Reutte nicht nur wirtschaftlich bedeutungsvoll, sondern er beeinflußte auch die Ortsanlage und gab der Entwicklung des Ortsbildes die charakteristische Richtung. Der Marktflecken ist sozusagen eine einzige von Süd nach Nord sich hinziehende Straße. In dieser Längenerstreckung, dieser Landstraße entlang vollzog sich die Ausdehnung und Vergrößerung des Dorfes, als dessen ältesten Teil wir, wie bereits angedeutet, die Gegend an der alten Straße und auf der Kög ansehen müssen. In diesem obersten Teil des heutigen Reutte stand das "Tanzhaus", ein Holzbau, der den Bewohnern als Gemeindehaus und Dingstätte diente, der also als der Vorläufer des späteren Ratshauses angesehen werden kann. Von hier weg legten die Dorfinsassen ihre Häuser in einer Reihe zu beiden Seiten der Hauptverkehrsstraße an. Hinter jedes Haus wurde ein Garten, meist ein Krautgarten gelegt, und daran schloß sich in einem breiten Bande, von der Straße sich entfernend, Acker-, Wiesen- und Weideland das in unverdrossener, zäher Rodarbeit dem Anschwemmungsgebiete des Lechflusses nach und nach abgerungen wurde.


Theater in Reutte
reutte, theatergesellschaft, volksbühne

Bayerische EP3
elok, elektrolok, e36 0x, bayerische ep3, außerfernbahn, fernbahn, ausserfernbahn

im Obermarkt
reutte, obermarkt, bezirkshauptmannschaft, gemeindeamt


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