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Beiträge zur ältesten Geschichte von Reutte

Aus einer Vortragsreihe des Universitätsprofessors Dr. Ignaz Ph. Dengel im August 1924

frühes Gewerbe in und um Reutte



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Aus: Ausferner Bote des Jahres 1924
Die nächste "Ordinari-Rodstatt" befand sich in Nesselwängle an der in den Jahren 1540 — 1550 neuangelegten Tannheimerstraße, auf welcher die meisten Salzfrachten nach Lindau weitergeleitet wurden. Hier stand ein dreistöckiger Salzstadel, der eigene Einfahrten für jedes Stockwerk hatte. Der Tannheimerstraße entlang lagen Weidegehege für die Lastpferd[]. Ein "Wetterstadel" in Weißenbach hatte den Zweck, bei Wasser- und Schneegefahr, wenn der Weg über die Gacht bedroht war, die Salzfässer aufzunehmen. Vielfach mußten die Weißenbacher mit ihrem Zugvieh und mit "angelegten Fußeisen" ausrücken, um die auf der Straße steckengebliebenen Transporte über den Gachtpaß zu bringen. Die Gemeinde Weißenbach betrachtete ihren "Not-Salzstadel" wie eine wirkliche Niederlage. Gegen diesen Mißbrauch traten die Salzfuhrleute von Reutte auf. Überhaupt gab es wegen der Salzrod manchen Streit, so daß schließlich die Gerichtsobrigkeit von Ernberg einschreiten mußte, die am Freitag vor St. Pauli Bekehrung 1541 im Einvernehmen mit dem Bürgermeister und Rat zu Reutte und den Leuten von Aschau die folgende Salzrodordnung[] aufrichtete:

1. Die Leute von Reutte und Aschau haben das Vorrecht, die in Reutte ankommenden Salzfässer zu laden und weiterzuführen, und zwar trifft es von je 3 Fässern auf die Rodleute von Reutte und Breitenwang 2 Fässer, auf die von Aschau, Wängle, Höfen und Weißenbach 1 Faß.

2. Wenn soviel Salz in Reutte lagert, daß die Fuhrleute von Reutte und Aschau samt ihren Mitverwohnten nicht alles führen können oder wollen, können auch die anderen Gerichtsleute von Ernberg sich an der Frächterei beteiligen.

3. Ausländer dürfen in den Pfarren Reutte und Aschau vor 10 Uhr Vormittag kein Salz aufladen und wegführen, nach dieser Stunde nur dann, wenn niemand von Reutte oder Aschau oder sonst aus dem Gerichte Salzfässer führen will.

4. Zuwiderhandelnde zahlen von jedem Salzfaß 1 Gulden Strafgeld, das zu gleichen Teilen der Gerichtsobrigkeit und der Gemeinde Reutte zufällt.

Aus einer Zusammenstellung vom Jahre 1664[] ergibt sich, daß vom Oktober 1661 bis Oktober 1662 15.850 Salzfässer von Reutte nach Nesselwängle transportiert worden sind. Davon führten nach dem Schlüssel der vorhin erwähnten Salzrodordnung die Rodleute v. Reutte u. Breitenwang 10.567, die von Aschau, Wängle, Höfen und Weißenbach 5.283 Fässer. Am Fuhrlohn wurden für das Faß 23 — 24 Kreuzer verdient. Das verschaffte in Verbindung mit dem immer mehr aufblühenden Handel und Gewerbe diesen Gemeinden, vor allem Reutte als dem Hauptstapelplatz einen gewissen Wohlstand, der sich in dem Bau stattlicher Bürgershäuser ausdrückte.

Die lebhaft betriebene Frächterei, nicht nur an Salz, sondern auch an sonstigem Kaufmannsgut, das durch Reutte hindurchgeführt wurde, und die Vorspanndienste brachten es mit sich, daß im Bezirk Außfern sehr viel Zugvieh, Ochsen und hauptsächlich Pferde gehalten wurden. In Zeiten der Futternot, wie im Jahre 1482, erging an die Pfleger von Ernberg die Weisung, den von auswärts hereinfahrenden Fuhrleuten einzuschären, das Futter selbst mitzuführen, oder der Auftrag, statt der Pferdewägen Ochsengespanne zu benutzen und die Pferde wenigstens teilweise abzutun[]. In Nesselwängle allein hielt man zum Zwecke der Vorspannleistungen 80 Pferde. Noch im Jahre 1802 zählte das Gericht Ernberg 805, das Gericht Aschau 157 und das Pflegeamt Vils 97 Pferde. Zusammen waren es 1059 Pferde, während der Viehkataster vom Jahre 1920 im ganzen nur 363 Pferde aufzählt. Im Gericht Ernberg allein ohne die Ämter Aschau und Vils gab es 310 Fuhrleute, dazu eine große Zahl von Wirtshäusern und Branntweinschenken[], deutliche Beweise des sehr regen Verkehrslebens.

Zum weiteren Aufschwung des Marktes Reutte trug das seit 1509 wiedereröffnete Berg- und Hüttenwerk am Säuling bei. Den Brüdern Georg, Ambros und Hans Hochstetter aus Augsburg, die sich mit der Absicht trugen, in Tirol eine Schmelzhütte und Schmitte zur Gewinnung von Kupfer und Messing zu errichten, verlieh der ihnen verschuldete Kaiser Maximilian I. durch Brief vom 13. Dezember 1509 in Pflach bei dem Achwasser den Platz und die Hofstätte, "da vormalen die Blechhütten oder Eisenschmitten gestanden, so ergangen und abgebrochen ist." Dieser Platz umfaßte "von oben herab nach der Ach die Ebene unten am Steinenberg am Rain ringweise herum bis wiederum an die Ach, mitsamt dem Wasserfall und der Wurstatt (Stauwehr) von einem Gestade zu dem anderen, quer durch das Wasser." Dazu kam, was von besonderer Wichtigkeit war, das Recht des Holzhaues in dem Walde am Zwieselbach für den Schmelzbetrieb. Durch die Wur sollte aber die Durchfahrt für die Flößer nicht behindert werden und auch der Viehtrieb der Untertanen der Pfarre Breitenwang bei dem Rain auf der Ebene des Steinenberges durfte nicht beeinträchtigt werden. Ebenso blieb ihnen der Holzhau im Zwieselbacher Walde zur Notdurft ihrer Häuser gewahrt. Das Hochstetter'sche Unternehmen sollte bei Anstellung von Holzknechten, Köhlern, Fuhrleuten und anderen Arbeitern in erster Linie die einheimischen Arbeitskräfte berücksichtigen[].

Kaum war das Eisenwerk an der sogenannten Hüttenmühle in Gang, gab es Streit zwischen den Hochstettern und den Pfarrsleuten von Reutte und Breitenwang wegen des von ersteren auf der linken Seite der Ach am Steinenberg ausgerichteten neuen "Fachwerkes" (Rechen). Eine Kommission aus Innsbruck, die an Ort und Stelle die Verhandlungen führte, brachte am 18. Mai 1517 in Reutte den folgenden Vergleich zustande.

Vidimierte Abschrift dieses Vertragsbriefes im Marktarchiv zu Reutte. Als Vertreter von Bürgermeister und Rat des Marktes Reutte und der gemeinen Nachbarschaft der Pfarre Breitenwang waren anwesend der Bürgermeister Lorenz Ledrer, Hans Kleinhans, Wolfgang Khuen, Lorenz Raminger, Matheiß Negele, Konrad Schuester, Oswald Schmid der Ältere, Jörg Ranpacher, Jörg Paumann, Hans Purkart der Ältere, Ludwig Ruepp von Breitenwang, Jörg Herr von Ehenbüchel, Jörg Rauscher und Hans Pögli, alle Bürger daselbst.


1. Die Hochstetter behalten den durch sie ausgehauenen Platz oberhalb des Hüttenwerkes zwischen Ach und Steinenberg bis an den "schrofigen Büchel," müssen jedoch jedesmal nach der jährl. Triftung das Fangwerk für die Beflößung aufheben und einen guten Fahrweg über den Rain anlegen. Als Ersatz für den Entgang der Nutzung auf den genannten Platze stellen die Hochstetter den Pfarrsleuten einen Schuldbrief auf 40 Rheinische Gulden aus.

2. Wenn die Hochstetter künftig auf der Ebene zwischen Ach und Steinenberg mehr Platz brauchen zum Lenden, Holzlegen und für Kohlstätten und darüber neuer Streit entstehen sollte, so soll in Innsbruck um Auslegung des Lehensbriefes Kaiser Maximilians I. angesucht werden.

3. Das Fangwerk wird für die Durchfahrt der Floßleute mit einem Durchlasse versehen.

4. Die Ölmühle oben an der Ach (in der Nähe des heutigen Elektrizitätswerkes) muß vor Beschädigung durch die Holztriftung geschützt und der durch das Klauswasser entstandene Schaden nach Billigkeit vergütet werden.

5. Die von den Hochstettern jüngst bei ihren Hütten an der Ach aufgerichteten 2 neuen Hammerlegen bleiben stehen, jedoch muß die Wur so eingerichtet werden, daß man sie jederzeit bestoßen kann.

6. Die Hochstetter sind ermächtigt, auf dem Büchel oberhalb der Drahtmühle und des darunter befindlichen neuen Messinghammers noch 2 Behausungen aufzuführen.

7. Die Pfarrsleute von Reutte und Breitenwang sind berechtigt, aus ihrem für den Eigenbedarf gefällten Holz Hammerstiele oder Keile zu machen und diese Gegenstände für die Notdurft des Hüttenwerkes zu verkaufen. Die Dachschindeln aber müssen die Hochstetter aus ihrem eigenen Holz anfertigen lassen.

8. Die Pfarrsleute sollen die für das Hüttenwerk benötigten Arbeiter und Taglöhner, die, soweit sie tauglich sind, aus dem Gericht Ernberg genommen werden, um ein ziemliches Geld bei sich aufnehmen oder sonst gegen Entgeld beherbergen.

9. Zum Zwecke des Abtransportes der Hochstetter'schen Erzeugnisse durch einheimische Fuhrleute soll bei der Regierung die Aufrichtung einer Rod (Frächterei) in Reutte erwirkt werden.

10. Wein darf beim Hüttenwerk nur für die Arbeiter ausgeschenkt, damit aber nicht offene Wirtschaft gehalten werden.

11. Fleisch soll bei den Metzgern in Reutte eingekauft werden; nur wenn Reutte den Bedarf nicht decken kann oder die Preise hier höher sind, dürfen die Arbeiter ihr Fleisch aus Füssen oder anderen Ortes beziehen. Die Errichtung einer offenen Fleischbank beim Hüttenwerk ist unzulässig.

Die genannten Urkunden gewähren nicht nur Einblick in den Umfang der Schmelzwerke an der sogenannten Hüttenmühle, sondern lassen auch deutlich erkennen, wie sehr die Maximilianische Regierung darauf bedacht war, den armen Gerichtsleuten von Ernberg aus dem Unternehmen der Hochsletter Erwerbs- und Verdienstmöglichkelten zu schaffen. Die Privilegien Kaiser Maximilians I. wurden durch Kaiser Karl V. am 9. Oktober 1521 bestätigt, und zwar mit dem Zusatze, daß die Plätze, worauf "die Schmelzhütten, Schmitten, Behausung Hofstätten, Holzlegen, Gassen, Wege und Garten" mit allem anderen Zubehör stehen, die landesfürstliche Freiung genießen sollen. Niemand durfte bei schwerer Strafe an diesem Orte einen anderen vergewaltigen, beschädigen und beleidigen. Wer zu einer Manns- oder Frauensperson, die hier wohnhaft waren, Spruch oder Forderung zu haben vermeinte, sollte solche Forderung mit gebührender Rechtfertigung suchen, wie es in Tirol Brauch, Recht und Gewohnheit ist[].

Die Industrieanlage der Hochstetter, deren Rechte auch durch König Ferdinand I. am 13. Juni 1523 erneuert wurden[], hat sich anfangs gut gelohnt. Dafür spricht auch der Bau der schönen, geräumigen gotischen Hüttenkapelle im Jahre 1515 für die Knappen und Schmelzer.

Allmählich gerieten aber die Hochstetter in Schulden und infolge langwieriger Streitigkeiten mit den Gläubigern kam das Hüttenwerk ins Stocken und schließlich zum Stillstand. Durch einen Vertrag mit den Hochstetter'schen Gläubigern brachte Georg Hag die Schmelzhütten in seinen Besitz und erhielt durch König Ferdinand I. am 6. Oktober 1533 die Privilegien Maximilians I. und Karl V. bestätigt. Von Georg Hag übernahm das Eisenwerk sein Sohn David Hag, Hofstallmeister Kaiser Maximilians II. und unter Kaiser Rudolf II. Hofkammerrat und oberster Kammergraf der ungarischen Bergstädte. Erzherzog Ferdinand II. und Kaiser Rudolf II. erneuerten ihm am 28. August 1568 resp. 18. Mai 1598 alle früheren Privilegien[].

Von der Familie Hag ging das Hüttenwerk mit "Behausungen, Hof, Hofstätte, Schmelz- Guß- und Brennhütten, Schmitten, Mühlen, Stadl, Stallungen, Gärten, Plätzen, Kohlstätten, Holzlegen und Wasserfällen samt der Kirche" am 14. Jänner 1606 an den Ernberger Pfleger Burkardt Laymann zu Liebenau und Ernhaim über. Der Kaufpreis, in den auch ein Wißmahd am Säuling, das "Kriegsschwendtle" genannt, ein Mahd, das "Breitele" genannt, sowie Acker in Mühl und im Neuruter Feld und ein Wald in Wängle inbegriffen waren, betrug 3150 Gulden[]. Die nun folgenden Pestzeiten und der 30jährige Krieg bewirkten, daß die Hüttenwerke am Säuling gänzlich verlassen wurden.


Gachtpass
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Langlauf
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der Untermarkt
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