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Beiträge zur ältesten Geschichte von Reutte

Aus einer Vortragsreihe des Universitätsprofessors Dr. Ignaz Ph. Dengel im August 1924

Bedeutung als Marktflecken



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Aus: Ausferner Bote des Jahres 1924
In kirchlicher Beziehung verblieb Reutte auch nachdem es, [wie berichtet], zwischen 1427 - 1440 zu einem selbständigen Orte geworden war im Pfarrverbande der Muttergemeinde Breitenwang. Es entstand aber bei dem raschen Aufblühen der Ortschaft schon im 15. Jahrhundert das Bedürfnis nach einer Filialkirche, und dem wurde in der Weise Rechnung getragen, daß man angeblich auf Anregung des seligen Nikolaus von der Flüe (gestorben 1487), der hier eines Tages vorüberpilgerte, eine kleine Kapelle zu Ehren der heiligen Anna errichtete, welche die Vorhalle zur heutigen Franziskanerkirche einnahm. Im Jahre 1500 baute dann der reiche Pfleger von Ernberg, Jörg Gossenbrot, an diese Kapelle die größere St. Annakirche an, und im Jahre 1518 wurde, wahrscheinlich mit Unterstützung Kaiser Maximilians I., eine Frühmesse (Kaplanei) gestiftet, für die das Präsentationsrecht dem Landesfürsten von Tirol zustand[].

Der Frühmesser oder Kaplan von St. Anna erhielt von dem Augsburger Bischof, dem die Pfarre Breitenwang unterstand, die Bewilligung, an Sonn- und Feiertagen in dem Gotteshause Messe zu lesen und das Evangelium zu verkünden; er mußte jedoch hernach jedesmal sich nach Breitenwang begeben, um hier beim Gottesdienste auszuhelfen. Da letztere Bedingung nicht gehalten wurde, entstand ein Streit zwischen dem Pfarrer von Breitenwang als dem Ferfechter der alten Pfarr-Rechte und der Bürgerschaft von Reutte, die sich die Sonntagsmesse in St. Anna nicht nehmen lassen wollte, in dem sie sich darauf berief, daß Reutte an der Landstraße gelegen und sehr bevölkert sei, wogegen Breitenwang nur 20 Häuser zähle. Schließlich kam eine Vereinbarung dahin zustande, daß der Pfarrer von Breitenwang jeden dritten Sonntag den Gottesdienst in Reutte halten sollte. Die urkundlich bekannten Kapläne von St. Anna waren Oswald Keller (gestorben 1557), Johann Kunter (seit 1569), Hans Ammann (ca. seit 1578), Konrad Sturm (seit 1591), Georg Plank (1623) und als letzter wie es scheint, Andreas von Höchst.

Der Einfall des Kurfürsten Moritz von Sachsen in Tirol i. J. 1552 hatte den an der Strasse gelegenen Gotteshäusern des Gerichtes Ernberg unermesslichen Schaden zugefügt. Alle Ornate, Kelche, Meßgewänder, Privilegien und Urbare wurden geraubt, so daß das St. Anna-Benefiz einige Zeit nicht vergeben werden konnte. Zur Ordnung des Kircheneinkommens und der Stiftungen ließ der Pflegsverwalter Georg von Kanz, unterstützt von dem Richter Georg Franck und dem Pfarrer Christian Heß, von Breitenwang, in Gegenwart der Heiligenpfleger (Kirchpröpste) Oswald Kleinhans und Georg Oberreiter im Jahre 1556 für St. Anna ein neues Urbar anfertigen, das nach einigen Aenderungen auf Befehl des Pflegers Hans von Winkelhofen am 5. Febr. 1558 endgiltig aufgerichtet wurde[]. [Gegenwärtig waren Pfarrer Hans Kögl von Breitenwang, Georg Franck, Salzfaktor, Richter und Gerichtsschreiber zu Ernberg, Bürgermeister Diepold Öxl, Hans Mair, genannt Arlinger, Peter Schratz, Thomas Pairhof und Hans Nigg, Zinseinnehmer, des Gotteshauses St. Anna.]

Die Kirchenpfleger von St. Anna mußten jährlich zur Weihnachtszeit gewissenhaft Raitung (Abrechnung) tun und jedem Bürger in die Rechnungslegung Einsicht gewähren.

In den Jahren 1605 und 1606 ließen Burkardt von Laymann, Pfleger zu Ernberg und Inhaber des Hüttenwerkes in Pflach, und die Bürgerschaft von Reutte die St. Annakirche restaurieren[]. Die künstlerische Ausschmückung besorgte Jakob Hiebler aus Füssen, der in der dortigen Annakapelle neben dem Kloster den Totentanz nach Holbein gemalt hatte. Erzherzog Leopold V. bewilligte am 2. Mai 1625 zur Erhaltung des ewigen Lichtes in dem St. Anna-Gotteshause aus den Pflegsangefällen von Ernberg jährlich 3 Gölten Öl[].

Zur Filialkirche St. Anna gehörte nach dem erwähnten Urbar ein Häuschen und ein hinter der Kirche gelegener Anger, auf dessen Fläche später das Franziskanerkloster erbaut wurde. Der von der Marktgemeinde bestellte Meßner mußte den Anger zäunen und konnte ihn mit zwei der Kirche gehörigen Lußgütern nutzen. Außerdem hatte er eine Besoldung von 8 — 12 Gulden jährlich. Bei seiner Anstellung wurde ihm eingeschärft insbesondere der Uhr fleißig abzuwarten, dieselbe mit "Ölen und Salben" nicht zu verderben und auch in allweg fleißig zu sein mit dem Läuten des Ave Maria und mit dem Wetterläuten. Der Kaplan der St. Annakirche verfügte, wenigstens zu Ende des 16. Jahrhunderts, über ein jährliches Einkommen von 150 Gulden, hatte aber keine eigene Behausung noch Holz. Er mußte auch die Orgel versehen und pro choro singen. Im Jahre 1628 wurde die Obhut über die St. Annakirche durch das von Erzherzog Leopold V. gegründete Franziskanerkloster übernommen.

Die Verwaltung des Marktes Reutte lag in den Händen des gewählten Bürgermeisters, dem 11 Ratsfreunde und 4 Viertelmeister für die Kög, für Ober-, Mittel- und Unterreutte beigeordnet waren. Wie sehr Reutte über die Muttergemeinde Breitenwang das Übergewicht erlangt hatte, ersieht man am besten daraus, daß am St. Felixtag 1506 die ganze Gemeinde von Reutte, Pflach und Ehenbüchel sich verschrieb und dem Bürgermeister und Rat zu Reutte die Vollmacht erteilte, in allen ihren Sachen zu betrachten, vorzunehmen und zu fördern[]. Es bildete also die heutige kirchliche Pfarrgemeinde Breitenwang zu früherer Zeit zugleich eine politische Einheit zur gemeinsamen Besorgung der Gemeindeangelegenheiten unter dem Vorsitz von Reutte. Die umliegenden Orte (Breitenwang, Pflach und Ehenbüchel) nominierten zu den Beratungen je einen "Gewalthaber." Die Gemeinsamkeit kam in den Bezeichnungen wie "Bürgermeister und Rat zu Reutte für sich selbst und anstatt einer ganzen Gemain der Pfarre Breitenwang" oder "Bürgermeister und Rat des Marktes Reutte und die Nachbarschaft der Pfarre Breitenwang" oder "Bürgermeister, Rat und die gesamte Bürgerschaft des Marktes Reutte und die Gemeindeleute der mitverbundenen Pfarre Breitenwang" zum Ausdruck.

Die bürgerlichen Ämter (Schulmeister, Meßmer, Hebamme, Totengräber, Alpmeister, Rauschmeister, Kornmesser, Wagmeister, "Pfentner und Liener", Wegmacher, Brunnenmacher, bürgerlicher Diener) wurden jährlich durch die Wahl des Rates im Beisein der Pflegsgerichtsobrigkeit von Ernberg neu besetzt. Der Bürgermeister wurde auf 2 Jahre gewählt, und zwar war es Brauch, daß der im Amte stehende Rat und Ausschuß in geheimer Abstimmung 4 "Subjekte" nahmhaft machte, deren Namen man dann an den 4 Säulen des Rathauses anschrieb; die gesamte Bürgerschaft konnte einen von den Vieren in freier Wahl als Bürgermeister auswählen, der nach erfolgter Wahl dem Pfleger von Ernberg das Handgelöbnis zu leisten hatte. Nach altem Herkommen durfte der Pfleger nur dreimal im Jahr in der Ratsversammlung erscheinen: am 1. Mai bei der Erneuerung des Bürgermeisteramtes, wobei er auch seine Stimme abgeben konnte, am Sonntag darauf zur Beeidigung des Erwählten und am Dreikönigstag bei Neubesetzung der Gemeindeämter.

Wiederholt versuchte die Regierung in die Gemeinde und Bürgerrechte einzugreifen, indem sie verlangte, daß ohne Bewilligung der Pflegsgerichtsobrigkeit kein Rat gehalten werden soll, oder dem Pfleger oder seinem Stellvertreter das Recht zusprach, sich zu den Sitzungen anzusagen. Auch nahm der Pfleger bei dem Akte der Bürgermeisterwahl 3 Stimmen für sich in Anspruch. Sowohl im Jahre 1525 als im Jahre 1716 erhoben Bürgermeister und Rat von Reutte gegen derartige, den alten Privilegien zuwiderlaufende Neuerungen den schärfsten Widerspruch[]. In der Eingabe vom 15. August 1716 wurde darauf hingewiesen, daß jede andere Gemeinde oder Baurschaft besser daran sei, denn sie können in ihren Gemeindeangelegenheiten jederzeit ohne Befragen der Obrigkeit zusammentreten und freie Beschlüsse fassen; die Bürgerschaft von Reutte habe sich bei der Rückeroberung der Veste Ernberg im Jahre 1703 derartige Verdienste erworben, daß sie eine solche Ungnade um so weniger verdiene, als sie in ihrer treuen Anhänglichkeit an das Haus Österreich "bis zum Abgang der Welt" beharren werde. Die Folge davon war, daß Kaiser Karl VI. am 17. März 1717 anordnete, daß alles beim alten Brauch bleiben soll[].

Zu den Vorzügen eines landesfürstlichen Marktfleckens gehörte auch die Führung eines eigenen Wappens. Das im dreißigjährigen Kriege verloren gegangene Wappenprivileg für Reutte wurde durch Erzherzog Sigmund Franz am 1. Februar 1664 erneuert. Das Wappen besteht, wie es in der Originalsprache der Urkunde[] heißt:, "auf einem roth- oder rubinfarben Schildt, dessen Mitte ain weiß oder silberfarbe Zwerchstraße abthailet, im Grundt desselben drei grüne Püchelen, auf deren jedem ain aufrecht stehender Täx- oder Tannenbauml erscheint."

Der nächste Schritt vom Marktflecken ist der zur Stadt. Die "Gefahr" der Stadterhebung drohte Reutte bereits im Jahre 1743. Als der damalige Bürgermeister Franz Egidi Zeiller in Innsbruck weilte, wurde ihm von dem Regimentsrat Fröhlich und dem Hofkammerrat v. Schullern eröffnet, daß, wenn die Bürgerschaft bei der Kaiserin Maria Theresia ansuchen würde, den Markt Reutte in eine Stadt verändern zu dürfen, man solches mit den gewöhnlichen Stadtfreiheiten unzweifelhaft erlangen würde. Der überraschte Bürgermeister berief gleich nach seiner Rückkehr nach Reutte eine Ratssitzung ein, die am 6. September 1743 mit Stimmenmehrheit den nach Innsbruck mitgeteilten Beschluß faßte, "daß es zwar eine große und höchsten Dankes würdige Gnade wäre, eine Stadt und deren Freiheiten zu bekommen, jedoch sei Reutte ein gemeiner und zugleich ziemlich armer Ort, folglich auch die Bürgerschaft nicht imstande, die damit verdundenen erheblichen Spesen und Unkosten aufzubringen; man halte es für die allerhöchste Gnade, wenn die Kaiserin die alten Marktprivilegien bestätige und diesen einige neue Freiheiten hinzufüge[]."

Die nächste Gelegenheit, Stadt zu werden, winkte für Reutte unter dem langjährigen Bürgermeisteramte des Ehrenbürgers Alois Bauer. Dieser kluge Mann, dem der Markt die Anfänge seines modernen Aufschwunges verdankt, hat ebenfalls abgewinkt, und zwar mit der Begründung, daß Reutte zu den schönsten Marktflecken Tirols und über die heimatlichen Pfähle hinaus zähle, daß es aber als Städtchen unansehnlich wäre und keinen Eindruck machen würde.

Wollen wir hoffen, daß die Gemeindegewaltigen von Reutte in Gegenwart und Zukunft in dieser Beziehung ebenso konservativ denken wie ihre Vorgänger und weder durch das so erfreuliche wirtschaftliche und industrielle Aufblühen des Ortes, das auch ohne Stadtcharakter seinen Fortgang nehmen kann, noch aus Eitelkeitsgründen sich verleiten lassen, dem historisch gewordenen Marktflecken ein Modekleid umzuhängen, das ihm schlecht anstehen würde.
Reutte ist nach seiner ganzen Anlage, Bauweise und Geschichte der "wahre Normaltypus eines Marktfleckens[]."

Dieser Typ, diese Eigenart des Marktes Reutte soll erhalten bleiben. Darüber zu wachen, das ist eine der vornehmsten Aufgaben des Vereines für Heimatkunde und Heimatschutz von Außfern.


Zöblen
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