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Beiträge zur ältesten Geschichte von Reutte

Aus einer Vortragsreihe des Universitätsprofessors Dr. Ignaz Ph. Dengel im August 1924

Entwicklung zum Hauptort



Hinweis: Es werden unter dem Punkt in eckigen Klammern [•] die Original-Fußnoten aus dem ursprünglichen Text angezeigt. Der Text wird durch Darüberfahren mit dem Mauszeiger sichtbar.

Aus: Ausferner Bote des Jahres 1924
Als Folge des erworbenen Wochenmarkt-Privilegs stellte sich die Notwendigkeit der Errichtung eines Kornhauses heraus. Zur Vergrößerung dieses Baues, namentlich zur Schaffung eines offenen, geräumigen Marktplatzes kaufte die "ehrbare" Gemeinde Reutte im Jahre 1491 von Oswald Schmid und dessen ehelicher Hausfrau Magdalena die ihnen gehörige Hofstätte samt Zaun und Keller. Diese Hofstätte war "an vier Orten mit Marksteinen, ungefähr von jedem Eck der Mauer des Kornhauses 17 Schuh herdan ausgesteckt" und reichte nach vorne bis an die freie Landstraße. Der Vater des Verkäufers, der Goldarbeiter Hans Schmid, der gegenüber dem Kornhause, ungefähr an der Stelle des heutigen Gasthofs zum Hirschen ein Haus mit Garten besaß, verpflichtete sich, "außerhalb und vor dem Markstein, so herfürwärts gegen die Landstraße neben dem Eck des Kornhauses vor seinem Hause übernächst steht, hinaus gegen die Landstrasse keinen Zaun oder sonst etwas zu machen noch zu bauen, was dem Kornhause zu seiner Einfahrt Schaden oder Irrung bringen könnte." Jedoch war es ihm und seinen Erben erlaubt, vom Eck seines Hauses, zwerchs hinüber gegen den vorbestimmten Markstein und darnach von demselben außerhalb der Länge hinab zu dem untersten Markstein an seinen Garten einen Zaun zu schlagen[].

Mit dieser Veränderung erhielt das Bild des mittleren Teiles von Reutte ein neues, ein marktliches Gepräge, das bis zum heutigen Tage gewahrt geblieben ist. "Ober-Reutte auf der Kög," der älteste Teil der Siedlung mit dem "Tanzhause", wo sich, solange Reutte ein Dorf war, das öffentliche Leben des Ortes abgespielt hatte, mußte nunmehr, seitdem Reutte Markt geworden, seinen Vorrang an Mittel-Reutte abtreten. Das Kornhaus wurde zugleich zum Ratshause umgestaltet und der alte Dingstuhl in dem "Tanzhause" wurde hieher verlegt[]. Reutte hatte sich inzwischen immer mehr ausgedehnt, so daß das "Kornhaus" bald im Mittelpunkt des Marktfleckens stand. Im Jahre 1494 finden wir bereits die Unterscheidung zwischen Ober-, Mitter- u. Nieder-Reutte und im folgenden Jahrhundert tritt die "Au zu Unter-Reutte", auch "Neu-Reutte" genannt, auf die Bildfläche.

In diesem Rahmen müssen wir auch der historischen Linde im Mittel-Markt gedenken, von der Elaistian Schneller in seinem 1859 verfaßten Gedicht über Reutte singt:

Es ragt in deiner Mitte hoch die Linde,
Die mehr als hundertmal sich neu belaubt:
Es rauscht und bebt ihr Wipfel in dem Winde
Gleich wie ein hochehrwürdig Greisenhaupt.

Der Volksmund läßt den "Lindenbaum", wie er gewöhnlich genannt wird, auf ein vierhundertjähriges Alter zurückschauen. Die Urkunden bestätigen diese Tradition. In einem Brunnenbriefe vom 6. April 1534 finde ich die Linde erwähnt; es wird von der "Nachbarschaft bei der Linde" und von dem "Brunnen an der Linde" gesprochen[].

Uralte Linden von bedeutendem Umfang findet man in vielen Ortschaften Nord- und Mitteldeutschlands. Auch in den Allgäuer Alpen fehlt es nicht an altehrwürdigen Dorflinden[] Sie erinnern an hervorragende geschichtliche Ereignisse oder sie stehen zu Gerichtsverhandlungen (Gerichtslinden, unter welchen Gericht gehalten wurde), zu Gemeindeversammlungen, zu Volksfesten oder zu religiösen Feierlichkeiten in irgend einer Beziehung. Keine andere Art unserer deutschen Baumarten ist hiezu so häufig benützt worden wie die Linde, die mit dem Volksgeiste innig verwachsen ist.

Ob und in welcher Weise die Linde in Reutte zu einem Ereignisse der geschichtlichen Vergangenheit in Beziehung steht, läßt sich mangels an überlieferten Nachrichten mit Sicherheit nicht sagen. Gewagt scheint mir die Vermutung, als wäre die Linde ein Überbleibsel des Waldes der einst die Gegend von Reutte bedeckt hat. Große Bäume werden in ihrem Alter meist überschätzt. Im allgemeinen haben die auf deutschem Boden erhalten gebliebenen alten Linden ein Alter von 300 — 500 Jahren. Unsere Linde dürfte in die Zeit zurückreichen, wo der mittlere Teil des Marktes emporkam und sein Gepräge als Marktplatz erhielt, also in die Zeit, als Reutte zum Markt erhoben wurde 1489. Vielleicht läßt sich annehmen, daß die Bewohner aus Anlaß dieses so denkwürdigen Ereignisses die Linde gepflanzt haben.

Wie sehr die Bürgerschaft die Bedeutung der Markterhebung würdigte, erhellt aus der Geschichte der Privilegine-Bestätigungen für Reutte. Aengstlich wurden die alten Freiheiten gehütet. Zu Ende des 18. Jahrhunderts war die Gemeinde einmal nahe daran, das Recht, sich "Markt" nennen zu dürfen, zu verlieren. Es war nämlich infolge der Kriegsläufe die Urkunde Erzherzogs Sigmund vom 5. Juni 1489 verloren gegangen, was der Regierung im Jahre 1791 die Handhabe bot, zu erklären, daß "der Ausdruck eines Marktes in den älteren Freiheitsbriefen nicht vorkomme." Schließlich wurde mit Rücksicht auf die Tradition und im Hinblick auf die "ausnehmende Treue", die von der Bürgerschaft im Kriege des Jahres 1703 und bei den vielfachen militärischen Durchmärschen bezeigt worden war, das alte Recht im Gnadenwege anerkannt. In dem Privilegienbriefe Kaiser Franz II. vom 13. Juni 1795 heißt es wörtlich: "Wir wollen gestatten, daß der Flecken Reutti in der Eigenschaft und anderen Rechten eines unter unserer Landeshoheit stehenden Marktfleckens von männiglich angesehen u. erkennet werden solle, weil dieser Flecken schon seit Jahrhunderten in dem Besitze jener Vorzüge ist, die sonst einem Markte in der gefürsteten Grafschaft Tirol zugestanden werden[]."

Die historische Bedeutung der altehrwürdigen Linde trat im Jahre 1814 in Erinnerung, als Tirol nach der bayerischen Herrschaft mit Österreich wieder vereinigt wurde. Die Bürgerschaft setzte zum Andenken an dieses Ereignis unter die Linde ein von dem Doppeladler und dem Tiroler Adler umranktes Denkmal mit der Aufschrift: "Dem allgeliebten Kaiser Franz schenken Ernbergs Kinder ihr treues Herz[]."

Weitere Fortschritte der Entwicklung von Reutte knüpfen sich an den Namen des Kaisers Maximilian I, der als Landesfürst Tirols wiederholt in dieser Gegend weilte, um sich an der Bären- Schweine- Hirsch- und Gemsenjagd in den Planseebergen zu ergötzen. Mit ganz besonderer Vorliebe betrieb der kaiserliche Jagdherr die Falkenbeitze auf dem Falkenberg (Hochschanz) bei Ernberg. Oder er beobachtete von dem "Mäuerle" aus, wie die Gemsen und Hirsche ihre Flucht in den Heiterwanger See nahmen, wo sie von den Jagdgästen von den Kähnen aus in roher Weise abgestochen wurden[]. Bei solcher Gelegenheit mag der Kaiser die schwache Seite der Veste Ernberg erspäht haben, nämlich, daß das Schloß von dem damals noch unbefestigten Falkenberg aus vom Feinde so leicht mit Erfolg beschossen oder auch jenseits des Tauern um den Plansee herum umgangen werden könnte. Um diesen Mißstand zu beheben, ordnete er die Erbauung von zwei starken Türmen am Falkenberg und am See an, jedoch scheint es zur Ausführung nicht gekommen zu sein[].

Für den Aufschwung des Marktes Reutte war es sehr wertvoll, daß Kaiser Maximilian am Erichtag nach dem Sonntag Judica des Jahres 1491 der Gemeinde die Gnade gewährte, daß sie jeden, der zu ihr ziehen will und ihr angenehm ist, um ein benanntes Geld aufnehmen darf. Dieses Recht der Aufnahme von Fremden als Bürger sollte, wie es in der Urkunde[] heißt, den Wochen- und Jahrmärkten besseren Bestand geben und ihre Abhaltung in Würde ermöglichen.

In einer weiteren Urkunde vom gleichen Datum[] verlieh Maximilian den Leuten von Reutte den Weglohn (Zoll) am Katzenberg und am Krannz-Rayd (Rid, Krümmung) mit seiner Zugehörung auf 12 Jahre und darnach noch weiter bis auf Widerruf.

Heißt in den Urkunden auch "Kantzenrad" oder "Canzrait" bei Heiterwang gelegen. Am 28. April 1488 nahm Erzherzog Sigmund seine "Träger," die Gebrüder Hans, Mang und Oswald, die "Löner" (Leute aus Lähn), und Georg Pröll auf 5 Jahre als Wegmacher auf für die Strecke ob der Lähn bis auf "Kantzenrad" in der "Bichlbacher Pfarr" (Heiterwang gehörte damals kirchlich zu Bichlbach).
Landesregierungs-Archiv in Innsbruck: Entbieten Missiven 1488 fol. 93 v.


Diesen Straßenzoll hatte Reutte schon früher innegehabt, jedoch hatte ihn Erzherzog Sigmund an sich genommen[] und Wege und Stege verbessert. Sein Nachfolger Kaiser Maximilian fand, daß schon wegen der Märkte die Gemeinde Reutte an dieser Straße ein Interesse haben müsse, und deshalb gab er ihr den Zoll zurück, mit der Verpflichtung, daß sie den Weg am Katzenberg, soweit er noch nicht gemacht sei, ausbauen und in Ehren und Würde halten soll, damit dem Lande Tirol an seinen Zöllen und Mauten kein Abbruch und dem Gewerbsmann an seiner Hantierung keine Verhinderung beschehe. Der jetzt bestehende Weglohn, von jedem Roß oder Haupt (Stück Vieh), so geladen zieht oder trägt, ein Vierer, sollte ohne besondere Erlaubnis nicht erhöht werden.

Die Strasse am Katzenberg und an der Klause und durch Zwischentoren über den Fern nach Nassereit erfuhr in den Jahren 1542 und 1543 zur Förderung des Verkehrs neuerdings eine wesentliche Verbesserung, indem einzelne Strecken umgelegt, die übrigen ausgebessert wurden. An der Klause Ernberg stand damals auch ein Wirtshaus und unterhalb derselben, wo sich heute die Katzenmühle befindet, wurden eine Mahlmühle, eine Schmitte und Säge sowie eine Bleimühle (zum Abrunden der Bleikugeln) errichtet[].

Auf Kaiser Maximilian I. geht auch die Vergebung des Ammerwaldes an Reutte und Breitenwang zurück. Mittelst Urkunde, ausgestellt zu Innsbruck am Freitag nach dem Sonntag Letare 1493, verlieh Maximilian den Leuten zu Reutte und Breitenwang, "so Dienst und Erbgüter haben und zu dem Markt Reutte gehören", auf ihre Bitte hin den Ammerwald unter dem "Pleüsee" (Plansee), "der ein Tannenwald gewesen, aber gar abgedorrt und erfaulet ist". Sie erhielten die Erlaubnis, diesen Wald zu reuten, zu räumen und Wißmähder daraus zu machen sowie solche Wiesen für immer zu haben, zu nutzen und zu nießen[].

Reutte war bereits beim Ausgang des 15. Jahrhunderts infolge der erworbenen Rechte und Freiheiten zum Sammel- und Brennpunkt des Verkehrs in Außfern geworden. Noch aber fehlte eine genauere lokale Regelung dieser neuen Verhältnisse, wodurch es den einzelnen Marktteilen ermöglicht wurde, an den wirtschaftlichen Errungenschaften gleichmäßigen Anteil zu nehmen. Mittel-Reutte hatte das Kornhaus und die offene Marktstätte und in Unter-Reutte stand bereits vor dem Jahre 1494 der Salzstadel, in welchem die durchlaufenden Salzgüter eingelagert und umgeladen wurden. Damit die Bürger von "Ober-Reutte auf der Kög" nicht zu kurz kamen, verfügte Kaiser Maximilian I. am Freitag nach Fronleichnam (6. Juni) 1494, daß im oberen Markt auf ewige Zeiten die Niederlage und Rod (Frächterei) aller Güter sein soll, die von Venedig kommen oder dorthin oder in andere Länder gehen; jedoch müsse solcher Rod und solches Kaufmannsgut, wie es sich gebührt, versehen und verfertigt werden, und an der Stelle, wo jetzt das "Tanzhaus" stehe, soll, auf Kosten der Bürgerschaft ein "Pallhaus" (Umladeplatz für die Waarenballen) gebaut werden. Georg Gossenbrot und seine Nachfolger in der Pflegschaft Ernberg erhielten den Auftrag, die Untertanen von Ober-Reutte bei solcher Rod und Niederlage zu schützen[].

Die Beförderung der Frachten erfolgte durch die sogenannten Rodleute, d. h. durch Fuhrwerksbesitzer, die in Tirol gemeinde- oder gerichtsweise organisiert waren und nach einer bestimmten, vom Landesfürsten genehmigten Ordnung (Rodordnung) und um festgesetzte Preise den Transport der Kaufmannsgüter von einer Rodstätte zur anderen, von einem Umladeplatz zum anderen, z. B. von Innsbruck — Telfs — Nassereit — Lermoos — Reutte übernahmen[]. Am meisten beschäftigt waren die Salzroder, welche, wie wir bereits hervorgehoben haben, riesige Mengen Salz aus der Haller Saline nach den westlich gelegenen Ländern transportierten. In Reutte als einem "Haupt-Confin-Ort" des Landes Tirol war eine "Haupt-Salz-Niederlage," so daß der Salzstadel im unteren Markte bald nicht mehr genügte und ein zweiter im oberen Teil des Marktes errichtet werden mußte.


Hindelang
hindelang, ostrachtal

Tannheim
tannheim, zöblen

Schloss Klamm
schloss klamm, obsteig, mieminger plateau


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