
In Pettneu kommt es 1891 zur Gründung des
"Vereins zum Wohle der Schwabenkinder und jugendlichen Arbeiter überhaupt". Von der wirtschaftlichen Notwendigkeit überzeugt, trat der Verein in erster Linie für die Organisation und Begleitung der Hin- und Rücktransporte der Kinder ein. Am Zielort versuchten die aktiven Mitglieder des Vereins als Vertragspartner im Namen der Kinder gegenüber den dienstgebenden Bauern auf diese einzuwirken und die Einhaltung der Vertragsinhalte zu überwachen.
Als einer der rührigsten galt der Pfarrer Alois Gaim, überdies letzter Vereinsvorsitzender, welcher immer wieder mit seinem Dienstfahrrad zu sogenannten Kontrollreisen nach Schwaben hin aufbrach. Als Mittler zwischen den Bauern und den schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen führte er auch ein Buch mit den Namen jener Bauern, die die Kinder schlecht behandelten. Bereits kurz nach der Gründungsphase geriet der Verein aber zunehmend in die Kritik, da er nicht das Hütkinderwesen als solches abschaffen, sondern durch Verbesserung der Umstände die Belastung für die Kinder und deren Familien lindern wollte.
Durch die Presse bekam das Thema eine immer größere Dimension und geriet zum Politikum. Der Verein als klerikale Institution wurde in Mitten dieser Spannungen bald aufgerieben. Immerhin bestand er 24 Jahre, wurde also im Jahr 1915 aufgelöst.
"Der Verein, der bis jetzt sich nur mit Schwabenkinder-Versorgung zur Sommerszeit beschäftigte, wird ausnahmslos und allseitig als zeitgemäß und heilsam anerkannt; dass heuer nur noch 70 Kinder vom Vereine versorgt worden sind und so viele Kinder dem Verein ferne blieben, da doch im Herbste 1892 134 Vereinskinder gewesen, kommt daher, dass viele Kinder frei leben wollen, statt gehorchen und dass der Verein wegen des vorjährigen Passiv-Cassenstandes heuer sich mit Geschenken bei der Hinfahrt etwas mehr einschränken musste, um bei der Rückfahrt im Herbste jene reichlich beschenken zu können, welche vom hochw. Herrn Patron gute Sittenzeugnisse heimbringen. Der Verein möchte besonders Waisenmädchen oder solche Kinder, welche über den Sommer zu Waisen werden, im kommenden Winter wenigstens irgendwo unterbringen.
Etwas Geld können Kinder vom verdienten Liedlohne hiezu beisteuern, etwas gibt dann der Verein, der ihnen durch die Güte eines Wohlthäters hiezu schon fl. 50 zuwenden konnte. Um dem Vereine künftig mehrere Mitglieder zu erwerben, wurden Prämien den heurigen Vereinskindern in Bregenz als deponiert gezeigt, Bücher und Kleidungen im Werte von etwa fl. 40. Eine weitere Ursache der schlechten Betheiligung war die Werbung um Kinder von jenen Weibspersonen, welche mit ihren Kindern durchaus selbst gehen wollten und Honorar für die von ihnen mitgenommenen Kinder erhalten; der alt gewohnte Brauch des Bettels und der Landstreicherei, das Ersparniß von fl. 1 Fahrgeld, wenn sie ab Lindau zehn Stunden bis Ravensburg zu Fuß giengen etc. Es dürfte darum nicht unnütz sein, die Verdienste des Vereines wieder hervorzuheben. Dem Vereine ist zu verdanken, daß durch Geldwechsel al pari (zum Nennwert) Hunderte von Gulden erspart bleiben, daß bekannt wurde, auf welche Art halbe Fahrkarten bis Friedrichshafen erbeten werden können, wodurch je hundert Kindern jährlich hin und zurück beiläufig fl. 230 erspart bleiben, und der fast sklavenartige Transport, das Betteln und die Erlernung der Landstreicherei in Tirol und Vorarlberg aufhörte, sowie viele große physische und moralische Gefahren der Reise bei Vereinskindern abgewendet wurden; der Verein hat sich um die Bekanntmachung der Schulgesetze in Bayern und Württemberg gekümmert, er bemüht sich, die Vereinskinder nicht nur in katholische Orte, sondern auch in die vom dortigen Seelsorger empfohlene Familie zu verdingen und den Eltern die Adresse des Kindes sammt der Höhe der Liedlohne bekannt zu geben.
Er sorgt dafür, daß sie dort den Ortsseelsorger zum Patron erhalten, zur Sonntagsheiligung und zum Empfange der hl. Sakramente angehalten werden. Bei den neu eingeführten Verpflegsstationen, — wo Bettel verboten ist — müßten unkundig hinausgejagte Kinder völlig verhungern, ohne Verein. Die Vereinskinder können nicht, wie es bei anderen Kindern oft vorkommt, den Liedlohn vergeuden, verrauchen oder gar vertrinken und die Dienstgeber dann wegen Vorenthalten des Liedlohnes beschuldigen, das übliche Haftgeld von 2—3 Mark mehreren Bauern, denen sie davonlaufen, abschwindeln. Es wird verhütet, daß Vereinskinder verkommen, schlecht behandelt werden oder in Schwaben herumvagieren. Der Verein bewirkt, daß der schmähliche Kindermarkt aufhört. Denn Vereinskinder werden nur, wie es in Tirol wohl öfter vorkommt, in ordentlichen Gasthäusern verdingt. Ja, der Verein hatte am berüchtigten Markttage in Ravensburg heuer um 8 Uhr früh, also vor dem Markte, das letzte Kind schon placiert und viele nur an bestellte Bauern abgeliefert. Erwähnt sei noch, daß der hochw. Herr Hellweger, Cooperator in Zams, die Herren Haueis und Grissemann mit großem Eifer und viel Umsicht den Zug geleitet haben. Es gieng alles ohne Zwischenfall ab. Von Bregenz bis Friedrichshafen fuhr der Zug Schwabenkinder trotz halber Fahrkarten mit einem Extraschiff."
Nach zahlreichen Anfeindungen sehen sich die Mitglieder mehr und mehr genötigt, das Image des Vereines wieder in ein gewogeneres, helleres Licht zu rücken:
Diesem Vereine wurde in letzteren Jahren ein immer mehr wachsendes Interesse entgegengebracht sowohl von christlichen als socialdemokratischen Blättern. Letztere befeindeten den Verein wohl hauptsächlich deshalb, weil dessen Leitung in »clericalen« Händen liegt; doch auch Berichterstatter von katholischen Blättern waren nicht gut auf diesen Verein zu sprechen. Eines hatten alle diese Berichte gemeinsam, sie stammten insgesamt von Schreibern, die dem Verein fernestanden und ganz mangelhaft informirt waren.
Es dürfte daher angezeigt sein, daß auch einmal von gut informirter, an der Vereinsleitung beteiligter Seite dieser Verein behandelt wird.
Tirol, besonders Nordwesttirol, ist bekannterweise ein sehr gebirgiges Land, die Berge sind vielfach kahl oder mit Wald bewachsen, die nutzbaren Feldungen größtentheils in der meist engen Thalsohle. Der Percentsatz des bebauten Feldes ist sehr gering. Die Bevölkerung ist jedoch im Verhältnisse zum nutzbaren Lande ziemlich zahlreich.
Aus diesem Gebiete, nämlich aus den politischen Bezirken Meran, Landeck, Imst und zum geringsten Theile Innsbruck recrutirt sich das Gros der sogenannten Hütkinder. Es ist wohl der ärmste Theil Tirols, denn infolge des wenigen urbaren Landes bei verhältnismäßiger Uebervölkerung gibt es in diesem Gebiete — im Gegensatze zum Unterinntal — keine Großbauern. Die Bevölkerung ist hauptsächlich auf die Viehzucht angewiesen und es wird einer schon zu den besseren Bauern gerechnet, wenn er sieben oder acht Stück Vieh erhalten kann. Sehr viele erschwingen sich jedoch nicht zu dieser Zahl und müssen sich mit zwei und drei Stück begnügen. — Dabei hat der Bauer aber oft eine Stube voll Kinder, die, wenn sie arbeitsfähig werden, keine Arbeit haben, da zur Besorgung des Viehstandes und der Felder weniger genügen. Diese übrigen Kinder sind aber auf den Tisch des Bauern angewiesen.
Was soll nun der Bauer thun, wenn er mit seinem kleinen Anwesen nicht mehr imstande ist, seine Kinder zu ernähren? Dieselben verhungern lassen? Was ist da natürlicher, als daß er bestrebt ist, diese Mitesser auf einige Zeit los zu bekommen, umsomehr, wenn dann das Kind im Herbste neu gekleidet und mit einer Ersparniß von 30 bis 40 fl. heimkommt. — Manche Familie mit vielen Kindern gibt es jedoch, die gar kein Besitzthum haben, im Lande selbst finden nun diese Kinder keine Arbeit; über Mangel an bäuerlichen Dienstboten wird in dieser Gegend nicht geklagt — was ist da erklärlicher, als daß solche Kinder von Taglöhnern und dergleichen sich ihren Unterhalt im Auslande suchen!
Diese Verhältnisse sind schuld, daß schon vor vielen Jahrzehnten so viele Kinder über den Sommer in die Fremde, besonders nach Württemberg und Baden zogen. Diese Verhältnisse bestehen auch noch heutzutage.
Es läßt sich nicht leugnen, daß die frühzeitige Entfernnug des Kindes vom elterlichen Hause, sowie diese Auswanderung der Tiroler Kinder nicht vom Guten ist, ja daß sie ein Uebel ist; wer aber die Verhältnisse kennt, muß einsehen, daß gar manche Eltern darauf angewiesen sind und nur von der Noth gedrängt ihre Kinder in die Fremde schicken, damit sie selbst sich ehrlichen Unterhalt schaffen.
Die Auswanderung der Kinder in Nordtirol ist daher ein nothwendiges Uebel.
Die auswandernden Kinder waren manchen Gefahren preisgegeben. Auf der weiten Reise waren sie in Ermangelung des Reisegeldes auf den Bettel angewiesen, der Ungunst der Witterung überlassen, sie mußten froh sein, wenn ihnen ein mitleidiger Bauer Nachtquartier in seinem Heustadel erlaubte, an ihrem Dienstorte, den sie sich oft mit vielen Schwierigkeiten und Herumwandern selbst suchen mußten, waren sie der Willkür ihres Dienstgebers in Bezug auf Behandlung und Lohn preisgegeben und auf der Rückreise brachte mancher schmutzige Kaufmann und Krämer das nicht weltläufige Kind um seinen redlich verdienten Lohn. Desgleichen waren diese Kinder in sittlicher Hinsicht großen Gefahren ausgesetzt.
Um nun diesen Mißständen nach Möglichkeit abzuhelfen, hat sich ein Verein gebildet, der sich nennt: "Verein zum Wohle der sogenannten Hütkinder und jugendlichen Arbeiter überhaupt in Pettneu, Tirol." Ein Caplan Tirols, der in seiner Jugend selbst in die Fremde wandern mußte, ist der Begründer. Dieser Verein lag zwar längere Zeit in den Windeln, doch hat er sich jetzt, vorzüglich durch die Bemühungen des Clerus von Landeck und Zams, consolidirt.
Der Zweck des Vereines ist laut § 1 der Statuten, "für die auf Arbeit auswandernden, jungen Leute der obgenannten Bezirkshauptmannschaften in physischer und moralischer Beziehung möglichst Sorge zu tragen". Die Sorgfalt erstreckt sich auf Folgendes: 1. Sorge für eine verläßliche Führung und Begleitung auf der Hin- und Rückreise; 2. für gute Unterbringung in den ausgesuchten Dienstorten; 3. möglichste Ueberwachung der Kinder in ihren Dienstplätzen. Der Verein sucht diesen Zweck auf folgende Weise zu erreichen:
In allen jenen Orten, wo Hütkinder sind, werden Mandatare aufgestellt, meistens der Ortsseelsorger oder der Gemeindevorsteher; diesen werden von der Vereinsleitung Drucksorten zugesendet, welche ausgefüllt mit den Namen, Alter etc. der Kinder, die auswandern wollen, an den Obermandatar — in jeder Bezirkshauptmannschaft wird ein solcher aufgestellt — eingesendet werden. Die Obermandatare senden die ausgefüllten Drucksorten ihres Bezirkes an die Vereinsleitung.
Die Bedingungen, unter welchen die Kinder in den Verein aufgenommen werden, sind folgende: 1. Einwilligung der Eltern. 2. Wirkliche Armuth. 3. Körperliche Eignung. 4. Moralische Eignung, das heißt erste oder zweite Sittennote und genügender Fortgang in der Schule. 5. Vollendetes elftes und nicht überschrittenes achtzehntes Lebensjahr. 6. Vollzogener Empfang der heiligen Sacramente.
Nach diesen Bedingungen werden die erwähnten Drucksorten von den Mandataren ausgefüllt; außerdem hat jedes Kind ein von der Bezirkshauptmannschaft revidirtes Armuthszeugniß der Vereinsleitung behufs Besorgung einer halben Fahrkarte zu übergeben, ebenso werden die Paßcertificate von der Vereinsleitung besorgt. Endlich erhält jedes Vereinskind eine sogenannte Meldekarte, die es bei seinem Dienstantritte dem katholischen Ortspfarrer übergibt und vor der Heimreise mit einem vom Pfarrer rückseitig beigefügten Sittenzeugnisse wieder abholt und der Vereinsleitung übergibt. Die Meldekarte enthält den Namen, Geburtsort und das Alter des Kindes; in derselben wird der Pfarrer ersucht, das Kind während seiner Dienstzeit zu beaufsichtigen, betreffs Kirchenbesuches und sittlichen Betragens, eventuelle Klagen des Kindes oder Dienstgebers zu schlichten und der Vereinsleitung zu berichten.
Nach Beendigung der Vorarbeiten wird ein von der Vereinsleitung Tag und Stunde der Abfahrt bekanntgegeben. Die Kinder des Bezirkes Meran werden in Mals (Vintschgau) abgeholt und von dort per Wagen nach Landeck befördert. Der Sammelpunkt aller Kinder zur gemeinsamen Abfahrt ist Landeck. Nachts circa 12 Uhr beginnt die Fahrt nach Bregenz per Bahn, von dort um 7 Uhr Früh mit Extraschiff geht's nach Friedrichshafen. Auf diese Weise ist nirgends Nachtquartier nothwendig. Der "Markt", der in Friedrichshafen und Ravensburg statthat, wird vorher in württembergischen und badensischen Zeitungen angekündigt und eine große Menge "Kauflustiger" erwartet die Ankunft des Schiffes in Friedrichshafen. Mehr als die Hälfte dieser müssen ohne Kind wieder abziehen.
Nun beginnt der "Markt". Jedes Kind verdingt sich selbst und sobald es mit seinem, zukünftigen Dienstherrn betreffs Lohn und Arbeit übereingekommen ist, wird ihm von der Vereinsleitung ein schriftlicher Vertrag ausgestellt, von dem Vertrauensmanne des Vereines und dem Dienstgeber unterfertigt. Durch diesen Vertrag wird der Dienstherr genöthigt, die Vertragsbedingungen genau einzuhalten, das Kind gut zu halten, sein religiös-sittliches Verhalten zu beaufsichtigen, insbesondere dasselbe an Sonn- und Festtagen in die Messe und Christenlehre zu schicken, ihm Gelegenheit zu geben, daß es einigemale die Sacramente empfangen kann. Durch diesen Vertrag wird das Kind geschützt gegen Uebervortheilung, gegen nachträglichen Lohnabzug etc.; denn ein Duplicat des Vertrages bleibt in den Händen der Vereinsleitung, die im Falle eines unberechtigten Lohnabzuges die Behörden für das Kind in Anspruch nimmt.

Darauf musste ein Hutebub achten - ob der Bauer ein Kreuz aus Kreide auf der Jacke trug
Bei der Verdingung mischt sich die Vereinsleitung nur dann ein, wenn dem Kinde ein für sein Alter und seine Kräfte offenbar zu geringer Lohn geboten wird oder wenn der Dienstherr von früher her in üblem Rufe stand, sei es in Hinsicht auf Behandlung und Verpflegung oder daß er dem Kinde bei Erfüllung seiner religiösen Pflichten Hindernisse bereitet hatte. Solche übelbeleumundete Dienstherren erhalten vom Vereine kein Kind.
Zur Eruirung solcher Dienstherren dienen Erfahrungen und Erkundigungen von früher, doch auch die Kinder selber kennzeichnen solche, indem sie ihnen heimlicherweise mit Kreide ein Kreuz oder einen Ring auf den Rücken zeichnen und sie so brandmarken, daß ja kein anderes Kind sich ihnen verdingt.
Jene Kinder, die sich in Friedrichshafen nicht verdingen wollen, werden Nachmittags nach Ravensburg geführt, wo sich die Verdingung in gleicher Weise vollzieht. Die Kinder folgen sofort nach ihrer Verdingung ihren Dienstherren ins südliche Württemberg und Baden. Wenn auch die Kinder auf der Fahrt voller Jubel sind und manchen hellen Juhschrei hinausrufen, so gibt's doch bei dieser Verdingung manch' trauriges Gesichtlein, wenn gute Bekannte oder Geschwister auseinander gehen müssen, doch richten sie sich's häufig so ein, daß sie, wenn nicht beim gleichen Dienstherrn, so doch im selben Orte verdingt werden.
Im Allgemeinen sind die Vereinskinder an ihren Dienstorten bestens aufgehoben; sie werden gehalten wie die eigenen, der Tisch ist viel reichlicher und gewählter gedeckt als in Tirol. Was die Erfüllung der religiösen Pflichten anbelangt, werden sie zum mindesten ebenso hiezu angehalten als in Tirol. Kurz, man braucht wahrlich kein Erbarmniß mit ihnen zu haben und thatsächlich sind auch beinahe alle Kinder mit ihren Dienstgebern recht zufrieden.
Während der Dienstzeit, welche ungefähr 7 Monate währt, ist es Aufgabe der Vereinsleitung, eventuell einlangende Klagen zu untersuchen und zu schlichten, Kinder, die schlecht behandelt werden oder in Gefahr sind, Schaden zu leiden in moralischer Hinsicht, von ihrem Dienstorte zu entfernen und anderswo unterzubringen. Zu Zeiten, wenn auch nicht jedes Jahr, wird von einem Vereinsmitgliede eine Visitation der Kinder an ihren Dienstorten vorgenommen.
Ende October, gewöhnlich am Tage »Sineon und Juda«, erfolgt die gemeinsame Heimfahrt unter Führung des Vereines. Die Sammelorte sind wieder Friedrichshafen und Ravensburg. Die Rückfahrt geschieht auf analoge Weise, wie die Hinfahrt. Wohl ist der überschwengliche Muth der Kinder kaum zu bändigen, wenn sie angethan mit dem verdienten Sonntagskleide — das Festtagskleid wohlweislich im Ranzen — das mit Gold und Silber gefüllte Geldbeutelchen, vorsorglicherweise ins Sacktuch eingewickelt, in der Tasche oder gar im Kleide eingenäht in den Kreis ihrer Familie zurückkehren.
Der Beitrag für jedes Kind zur gemeinsamen Hinfahrt beträgt zwei Kronen, für den Bezirk Meran drei Kronen, bei der Rückfahrt vier Mark.
Die Vereinsleitung hat gegenwärtig ihren Sitz in Landeck und besteht aus einem Obmann und einem Schriftführer; die Arbeit derselben ist keine geringe, indem der Auslauf und Einlauf des Gestionsprotokolles jährlich die Zahl 500 erreicht. Der Obmann, der von der Generalversammlung auf drei Jahre gewählt wird, hat für seine Mühe kein Entgeld zu beanspruchen, während dem Schriftführer in letzter Zeit ein kleines Pauschale bewilligt wurde. Die Vereinsleitung ist verhalten, jährlich der Generalversammlung Rechenschaftsbericht zu erstatten, sowohl in Bezug der Statuten-, als Geldgebarung.
Die Auslagen des Vereines werden bestritten durch den Beitrag der Vereinskinder, durch einen Landesbeitrag und durch milde Gaben Vonseiten der Mitglieder. Das also ist der vielverfolgte Tiroler Hütkinderverein.
Es zeigt gewiß von geringer Unterscheidungsgabe, den Verein als solchen zu verurtheilen; wohl ist die Auswanderung der Tiroler Kinder ein Uebel, allerdings ein nothwendiges, nicht zu vermeidendes Uebel; sollte aber der Verein dafür zu tadeln sein, daß er diese Auswanderung regelt, die Schattenseiten derselben möglichst zu beseitigen sucht und die Auswanderung selbst durch Aufstellung von verschiedenen Aufnahmsbedingungen beschränkt?
Aus dem Gesagten können nun die Angriffe verschiedener Blätter beurtheilt werden: Es soll nur erwähnt werden das Schauermärchen vom »clericalen Sclavenhandel«, wonach der tirolische Clerus die Kinder zusammenkauft, sie auf den Markt stellt und den Erlös schmunzelnd einsteckt.
Doch auf einen Artikel, der dieses Jahr in der socialdemokratischen Wiener »Arbeiter-Ztg.« Nr. 119 des Juden Dr. Adler mit der Aufschrift »Oesterreichischer Kinderexport» erschien, ist es angezeigt, näher einzugehen. Nicht etwa, weil dieser Artikel durch seine Gelehrsamkeit imponirte, sondern damit der Leser sehe, was für ein Quark über diesen Hütkinderverein in socialdemokratischen Blättern zusammengeschrieben wird, denn gleiche und ähnliche Vorwürfe werden jährlich in feindlichen Blättern erhoben.
Nachdem ein gewisser Herr S. K. eine Zeitung mit dem Jahresberichte des Vereines sich bestellt und von dem Vereine einige Vereinsdrucksorten erhalten hatte, erschien nach Benützung eines so »reichhaltigen und ausgiebigen« Materials der besagte Artikel mit S. K. unterschrieben. Angeregt wurde er hiezu durch ein (in Wien) »zu Tode gemartertes Kind«.
Dieser Artikel macht dem Vereine zum Vorwurfe, daß er die Auswanderung befördere. Und warum? Weil es nach Punct 3 der Instruction heiße, daß der Verein möglichst verlautbaren lassen solle, bis zu welchem Termine sich die Kinder zu melden haben zur gemeinsamen Fahrt. — Bester Herr K.! Haben Sie vielleicht in der Instruction gelesen, daß es heißt, es sollen sich möglichst viele Kinder melden? Wenn Sie so gut unterrichtet sein wollen, müßten Sie auch wissen, daß gleichzeitig schon die Aufnahmsbedingungen, welche eine große Zahl von Kindern von der Auswanderung abhalten, an die Mandatare bekanntgegeben sind. Und wie sollte eine gemeinsame Fahrt zustande kommen, die Sie ja auch billigen, wenn die Vereinsleitung nicht ahnt, für welche und wie viel Kinder sie halbe Fahrkarten, Pässe, Meldekarten, Pferde und Verpflegung besorgen soll?
Doch das konnte Herr K. mit seinem Verstande nicht einsehen, weil es nicht in den ihm zugesendeten Drucksorten stand.
Ein Hauptverbrechen hat nach diesem Artikler der Herr k. k. Bezirkshauptmann von Landeck begangen, dadurch, daß er der Vereinsleitung seinen Dank ausgesprochen hat; denn, sagt der Herr K., »muß da nicht in den Bauern die Meinung aufkommen, daß es etwas lobenswerthes sei, die Kinder fortzuschicken«? Hierzulande, Herr K., schickt niemand seine Kinder aus persönlicher Liebhaberei oder aus Gehorsam gegen den Herrn Bezirkshauptmann in die Fremde, und wenn ein Bezirkshauptmann, der mitten in diesem Auswanderungsgebiete stationirt ist, der Vereinsleitung den Dank ausspricht, wird er nicht vorher einen »Genossen« in Wien, der von der ganzen Sache einige Drucksorten gelesen hat, darum um Erlaubniß fragen.
Auch an der Geldgebarung hat Herr K. etwas auszusetzen: Er meint, daß es eine merkwürdige (schade, daß sich der Herr nicht deutlicher ausgedrückt hat) Wohlthat sei, wenn der Verein für jedes Kind eine halbe Fahrkarte besorgt; von Landeck bis Bregenz 61 kr. — Herr K. scheint auch eigene Tarife zu besitzen, denn der halbe Fahrpreis auf genannter Strecke betrug schon seit Jahren über 80 kr.
Pferde und Wagen zum Transporte der Kinder von Vintschgau bis Landeck hätten größtentheils die Postmeister dieser Strecke gratis beigestellt und die Bodensee- Dampfschifffahrtverwaltung stellte zuvorkommend ein Extraschiff. Also käme eigentlich die ganze Fahrt per Kind auf 61 kr. Und doch müsse es 2 bis 3 Kronen bezahlen. So schlau hat sich Herr K. die Sache aus Zeitungsberichten zusammengestellt.
Das ist allerdings nicht in den ihm zugesandten Drucksorten gestanden, daß z. B. in diesem Jahre — es waren nur wenig Kinder mehr als andere Jahre — für den Transport der Kinder aus Vintschgau, bei viermaligem Pferdewechsel nicht weniger als 82 Pferde benöthigt wurden, wovon die k. k. Postmeister beim besten Willen nicht mehr als 27 zu stellen vermochten; die übrigen 55 waren aber nicht gratis.
Betreff der Dampfschifffahrtverwaltung scheint Herr K. der Ansicht zu sein, daß an den gesegneten Ufern des Bodensee bereits der socialistische Zukunftsstaat blühe und alles gratis gehe. Leider ist dem nicht so, denn der Verein verausgabte in diesem Jahre für die Fahrt Bregenz-Friedrichshafen und retour mit Extraschiff circa 500 Kronen und wurde bei dieser Summe von der löblichen Verwaltung noch sehr nachsichtig behandelt. Ebensowenig gratis geht's auf der Strecke Friedrichshafen-Ravensburg. — Die Einsicht, daß die Kinder bei einem vierundzwanzigstündigen Transporte auch verpflegt werden müssen, wird man dem Verstande des Herrn K. nicht zumuthen dürfen, zumal es auch nicht in seinen Drucksorten steht. Thatsächlich erhalten die Kinder auf diesem Wege dreimaliges Essen, in Nauders Mittagmahl, in Landeck Nachtmahl, in Bregenz Frühstück; und das Alles auf Vereinskosten.
Auch der Lohn, welchen die Kinder im Dienste erhalten, ist Herrn K. zu gering. — Im Durchschnittslohn traf es voriges Jahr per Kind 66 Mark und doppelte Kleidung. In diesem Jahre traf es 77 Mark und doppelte Kleidung. Nicht wenige fünfzehn- bis siebzehnjährige Knaben und Mädchen erhielten nebst Kleidung 140 bis 150 Mark, ein Lohn, den sich in unserer Gegend ein Bauersknecht kaum im Jahre verdient. Die Gesamthöhe des verdienten und größtentheils auch heimgebrachten Geldes beläuft sich also bei einer Kinderzahl von 350 auf rund 27.000 Mark; wenn man die doppelte Kleidung samt Schuhen hiezu bewerthet, ist die Zahl 35.000 Mark nicht zu hoch gegriffen.
Da bringt nun Herr K. einen Vorschlag, welcher schon vor ihm von »intelligenten« Genossen gemacht wurde: Wenn man so viele Tausende für die Heidenkinder zusammenbringe, würde man am Ende doch auch für diese armen Tiroler Kinder die paar Gulden aufbringen, damit diese Auswanderung aufhört. Ja, Herr K.! wer wird denn dieses Geld zusammenbringen? Man wäre sehr dankbar, wenn von den »Genossen«, die sich so sehr dieser armen Tiroler Kinder annehmen, einmal so eine Sammlung veranstaltet würde, nur müßte man sich hüten eine — Casse zu gründen.
Das Hauptübel an diesem Vereine ist nach Herrn K. jedoch, daß die Kinder vielfach von der Schule ferngehalten werden. Doch auch darüber kann sich der Herr trösten, denn der größere Theil der Kinder ist in Baden verdingt, wo die Schulpflicht noch strenger als in Tirol und auch durch einen Ministerialerlaß auf die Tiroler Hütkinder ausgedehnt ist. Uebrigens wenn Herr K. so ein gelehrter Statistiker ist, möge er auch nachschlagen, in welcher Reihe Tirol mit dem Percentsatz der Analphabeten steht, trotz Hütkinderverein und so vieler »ungeprüfter Lehrkräfte«.
Aber sogar in sittlicher Hinsicht findet Herr K. Bedenken: das Hüten und der Müßiggang rege die Kinder zur Sinnlichkeit an. Ein deutscher Lehrer schreibe, daß es in Deutschland — merkwürdigerweise war es kein Tiroler Hütkind — einmal vorgekommen sei, daß ein Hütjunge ein Hütmädchen vergewaltigen wollte — wahrscheinlich ein junger »Genosse«, der nach dem Princip der »freien Liebe« gehandelt hat — ja, es sei an der Tagesordnung, beim Hüten Wachholderbüsche in Brand zu stecken. Entsetzlich!
Doch, Herr K., seien Sie unbesorgt. Sie glaubten, weil der Verein Hütkinderverein heißt, müßten alle Kinder insgesamt und durch die ganze Zeit hindurch\r\nhüten. Dem ist jedoch nicht so. Das Hüten ist die wenigste Beschäftigung dieser Kinder und nur während der letzten Herbstwochen, die andere Zeit werden sie zu Haus und Feldarbeiten verwendet und es läßt sich leicht denken, daß der Dienstherr kein Kind zum Müßiggehen dingt und dafür bezahlt.
Endlich kann Herr K. versichert sein, daß die hiesigen »Genossen« ganz anders über diesen Hütkinderverein urtheilen, daß sie im Gegentheil für dieses Institut dankbar sind, da auch deren Kinder davon nicht ausgeschlossen sind.
Ueberhaupt erfreut sich der Verein in jener Gegenden, wo er wirkt, einer allgemeinen Zustimmung, da die Leute einsehen, wie nothwendig er ist und welch' edlen Zweck er verfolgt: dort zu helfen und zu schützen, wo es des Schutzes und der Hilfe am meisten bedarf.
'Das Vaterland' im November 1900

Anfang 1900 beklagt man in Vorarlberg, dass die Lage der Schwabenkinder aus dem "Ländle" durch den Tiroler Hütkinder Verein schlechter gestellt seien, als jene aus Tirol. Als Begründung gibt man an, dass die Löhne und die Verhältnisse der Unterbringung der Tiroler Kinder durch den Verein geregelt würden und die Vorarlberger Kinder dabei das Nachsehen hätten, da sie "vielfach an Orte kommen, wo die Tiroler keine Kinder mehr hingeben".
Ab dem Jahr 1906 werden auf Betreiben des Vereins der Hütkinder keine Kinder mehr unter 11 Jahren aus Tirol in das Schwabenland geschickt. Im April 1910 versucht man die Diskussion um die Rolle des Vereins in der Hütkinder-Frage anhand einer statistischen Erhebung zu klären:
Daß der Hütkinderverein die aus wirtschaftlichen Gründen bislang sich ergebende Auswanderung der Kinder nicht fördert, sondern mit vernünftigen Mitteln einzudämmen und den Auswüchsen und Mißbräuchen zu begegnen sucht, beweist die stets abnehmende Zahl der in den Verein Aufgenommenen.